Der ehemalige Chefredakteur des „Spiegel“, Stefan Aust, arbeitet schon seit geraumer Zeit für den Springer-Konzern: Seit 2014 ist er Herausgeber der hauseigenen Tageszeitung „Die Welt“ und seit 2016 Chefredakteur der „Welt N24“-Gruppe. Für die „Welt am Sonntag“ ist er – wen wundert’s – „Deutschlands berühmtester Journalist“. Nun hat er gemeinsam mit dem „China-Kenner“ Adrian Geiges ein Buch über den „mächtigsten Mann der Welt“ verfasst: Xi Jinping.
Der „mächtigste“ Mann muss es schon sein, wenn der „berühmteste Journalist“ so etwas wie eine Biografie schreibt. Aust und Geiges gehe es „nicht um eine Parteinahme für oder gegen Xi Jinping. Wir wollen ihn – so weit möglich – darstellen, wie er ist.“ Herausgekommen ist keine Biografie, sondern das übliche China-Bashing. Die Autoren greifen dabei in den einzelnen Kapiteln auf Interviews zurück, die Aust in seiner Journalistenkarriere mit chinesischen Politikern führen durfte. Neu ist daran herzlich wenig. Alte Gespräche werden aufgewärmt, etwa das zwischen Aust und dem damaligen Generalsekretär Jiang Zemin 2002 oder das 2006 geführte mit dem Parteisekretär von Tibet, Zhang Qingli – beide nicht besonders aktuell, dafür voller Fehleinschätzungen des Interviewers, so zum Beispiel bei der an Jiang Zemin gerichteten Frage, ob die KP Chinas sich in Zukunft wandeln werde und sich „zu einer Partei nach sozialdemokratischem Muster“ entwickeln könne.
Immerhin versprechen Aust und Geiges zu Beginn des Buches, mit ihm „kein China-Bashing“ betreiben zu wollen. Tatsächlich jedoch lösen sie dieses Versprechen gleich im ersten Kapitel – dem einzig aktuellen – nicht ein. Da geht es um Corona. Sie erkennen zwar an, dass „Chinas harter Kurs gegen das neue Corona-Virus erfolgreich war“. Zu dem Gerücht, das Virus entstamme einem Labor in Wuhan, zitieren sie den deutschen Virologen Christian Drosten, der erklärte, er als Experte halte dieses Gerücht für sehr unwahrscheinlich. Doch die Autoren können es sich nicht verkneifen zu unterstreichen, Drosten sei ja nur „Virologe und kein Sinologe“ und kenne deshalb nicht „den manchmal laxen Umgang mit Vorschriften in China“. Also: War der Umgang nun strikt und wurde ein harter Kurs praktiziert oder nicht? Was ist eigentlich so schwer daran, schlicht anzuerkennen oder auch nur festzustellen, dass die VR China als einziges Land konsequent eine Null-Covid-Strategie verfolgt?
Die Autoren schreiben: „Bis vor einigen Jahren waren Mopeds in China so gut wie unbekannt, jetzt knattern sie durch den Straßenverkehr.“ Entweder ist der Wissensstand der Autoren so alt wie ihre Interviews oder sie schreiben wider besseres Wissen. Der Rezensent war vor 20 Jahren erstmals in der Volksrepublik. Zu dieser Zeit „knatterten“ bereits unzählige Mopeds durch Guangzhou, Shanghai, Peking oder Nanjing. Doch heute „knattern“ gar keine Mopeds mehr durch diese Städte, weil sie ganz einfach Fahrverbot haben. Stattdessen fahren Tausende geräuschloser E-Motorräder durch die Straßen – ein umweltpolitischer Erfolg, der hierzulande und von Aust und Geiges verschwiegen wird.
Beim Thema „Uiguren“ beziehen sich die Autoren wieder einmal auf ominöse Quellen, die ihrerseits nur Gerüchte und „Berichte“ vom Hörensagen verwenden. Um Restzweifel an den Quellen zu beseitigen, beruft man sich überdies mehrfach auf „Bestätigungen“ durch Sigmar Gabriel (ehemaliger Außenminister, SPD) von der Atlantik-Brücke – auch er ein „China-Kenner“.
Auch andere Gerüchte finden Eingang in das Buch. So zum Beispiel die Erzählung, dass in einer katholischen Kirche das Bild der Jungfrau Maria durch das Konterfei von Xi ersetzt worden sei und dass in einem entlegenen Dorf die Bewohner gezwungen worden seien, statt Jesus-Bildern Xi-Porträts aufzuhängen (S. 115). Wer weiß, dass es in der VR China – vor allem auf dem Land – nur sehr wenige bekennende Christen gibt, muss sich über solche Märchen schon wundern. Zitiert wird ein Artikel aus dem in Hongkong erscheinenden Blatt „South China Morning Post“. Eigene Beobachtungen oder Recherchen? Fehlanzeige.
Zum chinesischen Sozialkreditsystem behaupten die Autoren, dass Xi Jinping es „beschlossen“ habe. Wenige Zeilen später heißt es, dass es ein „Regierungsbeschluss“ gewesen sei und dass von dem System „viele Chinesen noch nichts mitbekommen haben“ (S. 154). Tatsächlich genießt es da, wo es – wenngleich bisher erst in nur wenigen Städten und Regionen – eingeführt wurde, in der Bevölkerung hohe Akzeptanz.
Zwar schildern die Autoren den leidenschaftlichen Kampf Xis gegen Korruption und Umweltverschmutzung und sie verschweigen nicht, dass Xi großen Rückhalt in der chinesischen Bevölkerung hat. Sie können sich allerdings keinen Reim darauf machen und begeben sich stattdessen auf das zweifelhafte Niveau, dem Präsidenten der VR China schlechte Charaktereigenschaften zuzuschreiben. Als Kronzeugen präsentieren sie den Präsidenten der „Europäischen Handelskammer“, Jörg Wuttke – dieser habe Xi als „kaltblütig“ bezeichnet (S. 101). Ohne eine Primärquelle anzugeben, leiten Aust und Geiges aus einer angeblichen Äußerung Xis, es gälte „Tiger und Fliegen“ gleichermaßen zu erledigen, ab, dass damit gemeinte Menschen Tiere seien und erlegt werden, also – als Zitat! – „durch einen Schuss getötet“ werden müssten (S. 106).
Das Buch ist durchzogen von den Zitaten und Kommentaren „objektiver“ Betrachter – als da wären: der Dalai Lama, der schon erwähnte Sigmar Gabriel und der in Europa lebende chinesische „Menschenrechtler“ Ai Weiwei. Sie gelten als Träger der Wahrheit. Wissenschaftliche Zitierschärfe hingegen darf man von den Autoren nicht erwarten.
Ein Staatsmann, der vielfach in der Volksrepublik war und Mao Zedong sowie Deng Xiaoping persönlich kannte, wird in dem Buch nie zitiert: der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er war den beiden „China-Kennern“ offenbar zu „chinafreundlich“. Jedenfalls betrieb er – anders als die Autoren – kein China-Bashing. Er hatte großen Respekt vor diesem Land und auch vor seinen Repräsentanten.
Kulturkampf
„… dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“ Mit diesen Worten verabschiedete der letzte deutsche Kaiser die Truppen, die nach Fernost geschickt wurden. Sie richteten ein Blutbad in China an, das sich vom kolonialen Joch befreien wollte. Im August verabschiedete Kriegsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Fregatte „Bayern“ in den Indopazifik, um das angebliche „Machtstreben“ der Volksrepublik „einzudämmen“. Auf ihrem Weg dorthin machte die „Bayern“ Halt auf drei Inseln, die nach wie vor unter kolonialer Vorherrschaft stehen.
In den Qualitätsmedien wird allerdings lieber über die Absage von zwei Lesungen mit den Buchautoren Aust und Geiges gesprochen. Es wird gemutmaßt, dass die VR China versuche, Druck in Deutschland auszuüben, da über Xi Jingping nichts Kritisches geäußert werden dürfe. In den Mittelpunkt werden dabei die Konfuzius-Institute gerückt, die den Austausch zwischen Universitäten in Deutschland und der VR China organisieren. Diese seien ideologische Marketinginstrumente und müssten geschlossen werden. Auf keinen Fall seien sie vergleichbar mit den deutschen Goethe-Instituten.
Stefan Aust fasst zusammen: „Erstmals ist eine Diktatur dabei, den Westen wirtschaftlich zu überholen, und versucht jetzt auch, ihre gegen unsere Freiheit gerichteten Werte international durchzusetzen.“
Da wagt es der Chinese also schon wieder. Und diesmal schaut er nicht nur „scheel“.
Stefan Aust/Adrian Geiges
Xi Jinping – Der mächtigste Mann der Welt
Piper-Verlag München 2021, 288 Seiten, 22 Euro
Unser Autor, Rechtsanwalt Rolf Geffken, hat ebenfalls ein Buch über die VR China geschrieben. Leider hat es noch nicht den Weg in die Bestsellerlisten gefunden, dafür bietet es aber fundierte Informationen. Besprochen haben wir es in der Ausgabe vom 1. Oktober.
Rolf Geffken
Mein China
China sehen ist anders. Licht & Schatten im Reich der Mitte
VAR-Verlag Cadenberge 2021, 200 Seiten, 19,90 Euro