Roter Oktober im musikalischen und literarischen Nachklang eines sich antiimperialistisch erwehrenden und sozialistisch aufsteigenden Jahrhunderts: Im gemeinsamen Konzert, das der Ernst-Busch-Chor in Berlin gemeinsam mit dem Oktoberkoret Kopenhagen im Russischen Haus an der Berliner Friedrichstraße gestalteten, berührte Daniel Ortegas weltumspannende „Esperanza“ im Gäste-Vortrag. Das volle Haus hatte schon die Geste des gemeinsam gesungenen Eingangschors emotional verstanden: Brüder in eins nun die Hände, aktiv werden gegen das verordnete Ende der Geschichte.
„Und das war im Oktober“ ist der bereits fünfte künstlerische Arbeitsaustausch zwischen den Chören überschrieben. Beide kommen aus sozialistischer Tradition, schärfen aber Stil und Profil unterschiedlich. Das bei der Chorgründung der „Buschs“ eingeführte, in der DDR gängige Repertoire behielt der künstlerische Leiter Daniel Selke bei, ebenso die Collage-Technik bei Arbeiterlied-Blöcken oder in Echo-Wirkung zum legendär vorsingenden Namensgeber Ernst Busch. Dessen Stimme erklang auch diesmal vom Band, um live durch über 50 Chormitglieder anzuschließen: zu „Wart auf mich“, nach Konstantin Simonow und zu Louis Fürnbergs Friedenslied „Wenn die Lichter wieder brennen“. Aber Selkes interpretatorische Ansprüche und Probenintensität haben das Gros der Sängerinnen und Sänger in den vergangenen vier oder fünf Jahren auch weiter nach vorn gebracht. Hartmut Fladts vierstimmiger Antikriegs-Aphorismus nach Peter Maiwald „Wünsch mir die Welt, in der die Völker sagen, wir haben den Krieg verloren und können ihn nicht wiederfinden“ erschien im klanglich geschärften Satz sauber und mit der nötigen Ironie vorgetragen.
Der 1976 gegründete Oktoberkoret (25 bis 30 Mitglieder) sieht sich nordeuropäischer Sozialisten-Tradition und -Grundsätzen verpflichtet: Frieden, Freiheit, Solidarität und Schönheit der Welt. Sein künstlerischer Leiter seit Längerem, Jørgen Allan Christiansen, tritt meist vom Klavier aus in beschwingte Aktion. Die elementare Freude seines Ensembles an Melodie und Rhythmus geht auch auf die legendäre Zusammenarbeit mit Mikis Theodorakis zurück. Sie begann bald nach dessen Freilassung aus den Fängen der griechischen Militärjunta, die seine Musik verboten hatte. Die zunächst sporadisch vorangegangenen solidarischen Aufführungen in Kopenhagen führten dann auch mit Oktoberkoret zur Einstudierung des Canto general nach Pablo Neruda. Nun lernten wir aus dem derzeitigen dänischen Mikis-Repertoire „Emaste dio“, „Das Schlachthaus“ und im Finale auch „Der Strand kennen“, bekannt als Farantouri-Hymne auf die Freiheit.
Victor Jaras ironische Vaterunser-Umkehrung – Gebet an einen Landarbeiter: Erhebe dich, befreie uns – und auch seine hymnische Bewunderung für die Kraft der schönen Braut Amanda, die ihren verunglückten Manuel betrauern muss, hat Christiansen ebenfalls in Dänische übersetzt, arrangiert und ins Programm eingebracht. Das stolze, Lenin gewidmete Oktober-Gedicht (1971) des Schweden Lars Forssell, populär vertont von Bo Ejebi, nahm darin einen weiteren zentralen Platz ein. Der Satiriker, Dichter und Dramatiker Forssell (1928–2007) war seit 1971 Mitglied der Svenska Akademie, galt seit 1999 als Nationaldichter, scheute sich aber nicht, auch Texte für Schlager, Songs und Popmusiktitel zu schreiben.
Als Spannungsverhältnis übermittelte Oktoberkor ein Plädoyer für die eigenständige (Friedens-)Verantwortung jedes Menschen, gefasst vom schwedischen linken Liedermacher Mikael Wiehe. Den stärksten Eindruck machte auf mich das in deutscher Sprache chorisch und solistisch arrangierte Gedicht „Die unbekannten Soldaten“ von Klaus Rifbjerg. Der dänische Schriftsteller hatte es im Jahr 2009 aktualisiert, als der Tod von drei dänischen NATO-Soldaten in Afghanistan bekanntgegeben wurde. „General, dein Tank hat einen Fehler … dein Soldat hat einen Fehler, er kann denken“ mahnt Brecht in seinen Kriegsgedichten. Der schwedische Komponist Håkan Carlsson hat sie sich vorgenommen und in bester Verfremdungsart (rhythmisch, rufend) nachhaltig mahnend erweckt. Oktoberkoret und Ernst-Busch-Chor gefielen sich in der reizvollen musikalischen Aufgabe.
Das Konzert-Finale mit den vereinigten beiden Chören war ausgesprochen hymnisch: Theodorakis, Hanns Eislers Friedensmarsch (Peace on Earth), Edward Elgar (Der Freundschaft Band). Als dann unbegleitet die Internationale angestimmt wurde, hielt es das einfallende Publikum nicht länger auf den Plätzen.