OPEC+ beschließt Förderreduzierung – gegen US-Direktiven

Paukenschlag

Es war eine deprimierende Erfahrung. Der selbsternannte mächtigste Herrscher des Globus reiste eigens nach Riad, um mit dem Hut in der Hand bei Saudi-Kronprinz Mohammed bin Salman – einem Mann, den Joseph Biden zum „Paria der Welt“ gestempelt hatte – um etwas mehr Gas und Öl zu betteln. Ohne Erfolg – im Gegenteil: Die von Saudis und Russen maßgeblich beeinflusste OPEC+ erhöhte ihre Förderquoten nicht, sondern senkte sie demonstrativ um zwei Millionen Barrel pro Tag. Joseph Biden sah sich vorgeführt. Washington war außer sich.

Es ist kein Geheimnis: Der „Kollektive Westen“ gerät immer tiefer in eine selbstorganisierte katastrophale Energieversorgungslage. Die westliche Politik-„Elite“ versucht verzweifelt alles, was rund um den Globus an Energie verfügbar ist, zusammenzukaufen – egal zu welchem Preis. Solch eine Lage ist natürlich nicht dazu angetan, Energiepreise niedrig zu halten. Höhere Förderquoten der OPEC+ wären daher das Gebot der Stunde gewesen – zumindest aus der Perspektive des Westens.

Das war allerdings nicht die Sicht der OPEC+ und erst recht nicht die von bin Salman und Wladimir Putin. Die OPEC ist bekanntlich 1960 gegründet worden, um dem Ressourcenausverkauf aufgrund der Schleuderpreise der westlichen Ölmultis etwas entgegensetzen zu können. OPEC, seit 2016 um elf Staaten zu OPEC+ erweitert, ist eine Interessenorganisation der ölproduzierenden Staaten. Sie hat naturgemäß ein massives Interesse an hohen und stabilen Preisen. Sie ist, wenn man so will, ein Angebotskartell. Warum sollte dieses Kartell seine Preise kannibalisieren wollen? Viele Mitgliedstaaten beginnen sich langsam von den dürren Zeiten Mitte 2020 zu erholen, als der Ölpreis teilweise unter 20 US-Dollar pro Barrel abgesackt war und viele Staaten, selbst Saudi-Arabien, gigantische Defizite einfuhren. Die Saudis brauchen einen Ölpreis von fast 80 US-Dollar pro Barrel für einen ausgeglichenen Haushalt.

Im Gegensatz zu den hierzulande extrem dominanten Narrativen der westlichen Regierungsapparate und Kriegsmedien herrscht im Globalen Süden keineswegs die reichlich exzentrische Meinung vor, dass der meistsanktionierte Staat der Erde, also „Putin-Russland“, auch gleichzeitig der Verursacher der Energiekrise ist. Wer sich selbst vom Öl und Gas eines der größten Fossilenergieproduzenten der Erde wegsanktioniert, hat eben zu wenig Öl und Gas. Hinreichende Alternativen sind nicht verfügbar. Das sollte selbst einem Robert Habeck verständlich sein – sollte.

Der Energieminister Katars, Saad al-Kaabi, erklärte in London, dass die Hauptschuld für die hohen Energiepreise bei den europäischen Regierungen liege. Sie hätten „keinen Plan“. Die „vollständige Zerstörung einer soliden europäischen Energieversorgung“ sei durch die „sogenannte grüne Politik“ verursacht, welche „von der EU für ihre Mitgliedstaaten verhängt worden“ sei, „ungeachtet der technologischen und Marktrealitäten“. Nun versuche man „in aller Eile“ Flüssiggas zu kaufen. Zusätzlich wollen die Europäer einen Preisdeckel und die Deutschen niedrige Preise und kurze Vertragslaufzeiten – für Energieproduzenten mit langfristigen, hohen Investitionskosten wie Katar ein No-go. Nicht nur Putin hält einen Preisdeckel für eine „schlechte Idee“. Die OPEC+ hat verstanden: Was heute Russland passiert, kann morgen jedem von uns passieren. Da ist kein Deal möglich. „Ihre Regierungen haben nicht die Erfahrung, die Instrumente und die Unternehmen, um dies zu tun“, resümierte al-Kaabi.

Die Frage lautet eigentlich: Warum konnten die OPEC+-Staaten etwas tun, was sie vor fünf Jahren kaum gewagt hätten: ihre offene Interessenpolitik gegen den erklärten Willen der USA und der EU durchzusetzen? Auf der ökonomischen Seite ist es die schwindende Bedeutung des Westens. Die wichtigsten OPEC+-Kunden und -Handelspartner sitzen eben in Asien. Saudi-Arabien verkaufte 2020 keine 15 Prozent seines Gesamtexportvolumens in die USA oder EU. An diesem Punkt werden westliche Sanktionsdrohungen unwirksam. Finanzpolitisch hat der Westen gezeigt, dass er das US-Dollar-SWIFT-System hemmungslos als Waffe einsetzen wird. Der Ausstieg aus dem US-Dollar ist daher für alle Staaten, die so etwas wie Souveränität realisieren wollen, eine Notwendigkeit. Russland hat in Zusammenarbeit mit China gezeigt, dass dies auch möglich ist. Und nun wird Saudi-Öl auch gegen Renminbi verkauft. Und gewissermaßen on top: Der Nimbus der „unbesiegbaren“ US-Militärmaschine hat in den letzten Jahren katastrophal gelitten. In Wirklichkeit hat das Pentagon seit 1945 keinen einzigen seiner großen Kriege gewonnen. Der blamable Abzug aus Afghanistan, die Regime-Change-Niederlagen in Syrien, Venezuela, Belarus, Kasachstan und anderswo wurden auch am Golf aufmerksam wahrgenommen. Was sind da die Sicherheitsgarantien Washingtons eigentlich noch wert? Eine Frage, die auch Wladimir Selenski umtreiben dürfte.

Russland hat für jeden aufmerksamen Militärbeobachter die Begrenztheit der militärischen und ökonomischen Möglichkeiten des „Kollektiven Westens“ in der Ukraine offengelegt. Das verbale Herumfuchteln mit der „Bombe“ in Washington spricht Bände. Der Ukraine-Konflikt ist ein Wendepunkt in der Geschichte. Nun gehen die Uhren anders: Die Golfstaaten, OPEC+ und der Globale Süden beginnen sich auf Eurasien zu orientieren.

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"Paukenschlag", UZ vom 21. Oktober 2022



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