Mich wundert es nicht, dass am Beispiel des „Sozialismus chinesischer Prägung“, Fragen und Probleme der Theorie und Praxis des Sozialismus aufkommen, die allesamt schon seit vielen Jahrzehnten in der Diskussion sind. So insbesondere die Frage der Warenproduktion im Sozialismus. Sie ergab sich aus den ökonomischen Notwendigkeiten der Schaffung der sozialistischen Gesellschaft, genauer gesagt des tiefer liegenden Wirkens ökonomischer Gesetze. Diese Frage nahm verschiedene Formen an, eingeschlossen die konterrevolutionären, die bewusst die mit der Warenproduktion verbundenen Gefahren wegdiskutierten. Für Lenin jedenfalls war klar, „… dass der siegreiche Sozialismus nur entstehen wird aus der revolutionären Zusammenarbeit der Proletarier aller Länder durch eine Reihe von Versuchen – von denen jeder, einzeln genommen, einseitig sein, an einer gewissen Nichtübereinstimmung leiden wird“. Die neue Gesellschaft sei eine Abstraktion, „die nicht anders verwirklicht werden kann als durch eine Reihe mannigfaltiger, unvollkommener konkreter Versuche, diesen oder jenen sozialistischen Staat zu schaffen“. Dieses Herangehen, alle gesammelten Erfahrungen zu berücksichtigen, vermisse ich beim Diskussionsbeitrag des Genossen Paul Rodermund.
Ich stimme ihm zu, dass die Frage nach Chinas Entwicklungsweg „keine scholastische ist“. Schließlich geht es dem Imperialismus um die Vernichtung der Alternative. Den chinesischen Kommunisten ist bewusst, dass der Sozialismus keine kurze Übergangsperiode zum Kommunismus ist. Die Merkmale und Möglichkeiten der sozialistischen Gesellschaft, die Perspektiven, die sie eröffnet, die Kräfte, die sie freisetzt, sind Folgen der Beseitigung des Privateigentums. Sie entfalten und verdichten sich auf der Grundlage einer schnelleren Entwicklung der Produktivkräfte, einer höheren gesamtgesellschaftlichen Arbeitsproduktivität und einer höheren Arbeitsorganisation, was letztlich zur Abschaffung der Klassen führt.
Die staatliche Zulassung von Kapitalismus in großem Umfang, in China unter der Voraussetzung, dass Grund und Boden nicht Privatbesitz sind, hat „kapitalistische“ Konsequenzen – Klassenkampf und Verkauf der Ware Arbeitskraft, also Ausbeutung. Die Frage „Wer siegt?“ bleibt aktuell. Es gibt keinen Grund, der KP Chinas die proletarisch-internationalistische Unterstützung in ihrem Kampf zu verweigern. Es gibt keinen Grund, unter Verweis auf Abweichungen vom theoretischen Ideal, das natürlich eine Orientierungs- und Maßfunktion hat, auf die Parteinahme für den sozialistischen Entwicklungsprozess in China zu verzichten.
Die von Paul aufgeworfene Frage des sozialistischen Überbaus ist logischerweise eine sehr wichtige. So behandelte der XX. Parteitag der KP Chinas diese Frage sehr ausführlich: Die Genossen lassen kein Rütteln an der Machtfrage zu. Denn davon hängt es ab, ob der Überbau seine Funktion zur Entwicklung einer sozialistischen Basis erfüllen kann. Dieser Prozess beginnt immer mit der Eroberung und Sicherung der politischen Macht. Nirgends wurde signalisiert, hier nachzulassen, im Gegenteil.
Wie soll man also an den Antrag des PV herangehen? Wie soll man ihn kritisieren, inhaltlich befördern, um die Partei politisch voranzubringen? Worin sieht man seinen Sinn? Mir gefällt, was Conny Renkl in der UZ vom 18. November schrieb: „Der Antrag legt uns fest, dass wir in den kommenden Kriegen nicht an der Seite des deutschen Imperialismus und seiner – wie auch immer geführten – Regierungen stehen, sondern an der Seite Chinas und seiner Kommunistischen Partei. Nicht bedingungslos und blind, sondern im gemeinsamen Interesse der internationalen Arbeiterklasse.“ Die nächsten Generationen werden genauer einschätzen können, welchen Charakter der „Sozialismus chinesischer Prägung“ im weiteren Prozess seiner Gestaltung annimmt. Pauls indirekt geäußerte Bedenken, der PV-Antrag versucht durch eine Hintertür dem Marxismus widersprechendes Gedankengut in die Programmatik einzuschmuggeln, teile ich nicht.