Schulz redet von Gerechtigkeit, die Union wird nervös

Partei der Arbeit – trotz alledem?

Von Nina Hager

Nun sieht auch die ARD die SPD in Umfragen vorn. Ende der vergangenen Woche überholten die Sozialdemokraten im ARD-Deutschlandtrend die CDU – zum ersten Mal in den vergangenen zehn Jahren. Dass die SPD ihren Höhenflug mit dieser Geschwindigkeit fortsetzt ist unwahrscheinlich. Doch im Augenblick kommt ihr Kanzlerkandidat Schulz noch „an“. Die Attacken aus der Union, Schulz zeichne ein falsches Bild der wirtschaftlichen und sozialen Lage im Land, greifen nicht. Die Unionsparteien reagieren zunehmend nervös.

So konnte Schulz offenbar auch am vergangenen Sonnabend in Leipzig auf einer Regionalkonferenz der Partei punkten: Vielleicht – nachdem er ja nicht mehr „der Neue“ ist – weil er weiter eben nicht wie Gabriel polarisiert oder wie Gabriel und Merkel das Gefühl vermittelt, dass alles so bleibt, wie es ist, und zudem vorgibt, derjenige zu sein, der sich, nicht nur durch „Korrekturen“ an der Agenda 2010, endlich wieder „für die kleinen Leute“, angeblich für eine sozialere Politik einsetzt? Und zugleich für „Modernisierung“ in Wirtschaft und Gesellschaft steht?

Damit versucht er nun auch im Osten zu punkten. Die SPD ist auf die Stimmen angewiesen. In Sachsen erreichte seine Partei zum Beispiel bei den Bundestagswahlen 2013 nur 14,6 Prozent. Allein in Berlin und Brandenburg erhielt man damals mehr als 20 Prozent der abgegebenen Zweitstimmen.

In Leipzig jedenfalls gab es Beifall. Die 24 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss müssen investiert werden: in den digitalen Ausbau, in Bildung, in Schulen, in die Besserstellung von Pflege, in mehr Polizei, in den Kampf gegen den Terror. Bildung müsse „gebührenfrei werden – von der Kita bis zum Studium“. „Die Menschen erwarten keine schwer verständlichen Konzepte, sondern, dass wir ihr Leben konkret verbessern“, so Schulz. Die Kernkompetenz der SPD sei es doch, die Menschen zusammenzuführen. Sie sei – trotz allem, trotz Agenda 2010 – die Partei der Arbeit. Im Herbst wolle man die stärkste politische Kraft in Deutschland werden. „Nein, Schulz hat hier nichts zu befürchten, die alten Botschaften ziehen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, sichere Arbeitsplätze, gleiche Renten in Ost und West – so etwas hört man gern im Niedriglohnland Sachsen“, schrieb die „Süddeutsche“ am 26. Februar.

Schulz machte in Leipzig zudem die Unionsparteien für eine schlechte Sicherheitslage in Deutschland verantwortlich. Die neoliberale Politik habe unter dem Stichwort „Schlanker Staat“ die Polizei und andere Sicherheitsorgane ausgeblutet und damit die Kriminalitätsbekämpfung erschwert. Ob den Worten aber Taten folgen werden? Oder gar ein Politikwechsel?

Zumindest die Union reagiert auf das anhaltende Umfragehoch der SPD schon jetzt verstimmt. Der Druck auf Angela Merkel erhöht sich, Schulz inhaltlich etwas entgegenzusetzen. Doch bislang brachten weder Merkels Lob für die Agenda 2010 oder die Erinnerung daran, dass es SPD und die Grünen waren, die die Agenda konzipierten und durchsetzten, noch die Verweise auf die angeblichen eigenen Erfolge eine Trendwende. Vor der Landesvertreterversammlung der CDU in Mecklenburg-Vorpommern würdigte sie am Wochenende die vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) auf den Weg gebrachte Agenda 2010 als Erfolgsgeschichte. Die Reform habe dazu geführt, „dass mehr Menschen Arbeit bekommen haben“. „Aber die Sozialdemokraten möchten sich bis heute zu dieser Erfolgsgeschichte nicht bekennen.“ Stattdessen habe man den Eindruck, sie schämten sich sogar dafür.

„Ich glaube, es wird nicht reichen zu sagen, was man in der Vergangenheit gut gemacht hat.“ Stattdessen sei es wichtig, dass Merkel zusätzliche „Motivationsarbeit für die Basis“ leiste, meinte dagegen Bayerns Finanzminister Markus Söder am Rande eines Parteitreffens. Söder forderte eine härtere Gangart gegenüber den Sozialdemokraten. Statt der SPD hinterherzulaufen, müsse die Union „eigene bürgerliche Konzepte präsentieren“. Auf die Forderungen von Schulz nach umfassenden Investitionen ging Söder nicht ein, stattdessen verlangte er Steuersenkungen, die Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen entlasten sollen, und eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Dem Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann (CDU), und der CSU-Landesgruppen-Chefin Gerda Hasselfeldt fiel auch nichts anderes ein. Erst im Januar war Söder jedoch mit dem Vorstoß, vor der Wahl Steuerentlastungen durchzusetzen, gescheitert. Unter anderem an CSU-Chef Horst Seehofer.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forderte seine Partei auf, sofort in den Wahlkampf zu starten. Man müsse den Linkskurs von Schulz „und seine Faktenschwäche offenlegen“, meinte er laut „Bild“ und widersprach „dem Eindruck“, es gebe soziale Ungerechtigkeit in Deutschland. Komisch, da muss sich ja innerhalb kürzester Zeit viel verändert haben. Nicht nur die Sozialverbände sehen das anders. Selbst der – geschönte – Armutsbericht der Bundesregierung bestätigt die Ungerechtigkeiten. Und in einer repräsentativen Umfrage im Mai vergangenen Jahres meinten 82 Prozent der Befragten, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland zu groß sei.

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"Partei der Arbeit – trotz alledem?", UZ vom 3. März 2017



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