Der 9. November wurde in diesem Jahr vielfach auf einfältige Weise begangen

„Panzer – Hurra!“

Den 9. November 2021 eröffnete laut „Westdeutscher Allgemeiner Zeitung“ (WAZ) früh um 7.17 Uhr das „Social Media Team des Heeres“ unter dem Hashtag #PanzerHurra mit dem Tweet: „Das Heer wünscht einen guten Morgen und einen dynamischen Start in den Tank Tuesday.“ Die „WAZ“ kommentierte: Der Tag sei „im Geschichtskalender Deutschlands vielfach markiert – doch wohl nur bei den wenigsten als Tag, an dem die Panzertruppe der Bundeswehr mit ihrem Schlachtruf ‚Panzer – Hurra!‘ 70 Tonnen schweren Waffen und ihren Lenkern huldigt.“ Dabei wäre „Panzerdienstag“ durchaus passend: Seit dem 9. November 1989, lässt sich rückschauend sagen, hat die deutsche Armee wieder eine Chance auf Angriffskriege und hat sie genutzt.

Arnold Schoelzel 1 - „Panzer – Hurra!“ - Antifaschismus, Geschichte der Arbeiterbewegung - Positionen

Passend war die Jubelbotschaft auch in Bezug auf die subjektive Seite. Bei einer republikweiten Umfrage der „Bundesstiftung für Aufarbeitung“, so die „WAZ“, wurde nach Assoziationen zum 9. November gefragt. Ergebnis: „Gerade einmal 13 Prozent der Befragten nannten dabei die Reichspogromnacht, 50 Prozent konnten mit dem Datum überhaupt nichts anfangen.“

Wer Panzer rollen lässt, benötigt Schulen und Hochschulen, in denen die Geschichtskenntnisse der Bevölkerungsmehrheit weitgehend auf Null gebracht werden. Daher verhielt es sich in der DDR vor dem 9. November 1989 anders. In deren Hauptstadt war zum Beispiel ein Jahr zuvor, zum 50. Jahrestag des Pogroms, in Anwesenheit der Partei- und Staatsführung der Grundstein für den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße als „Centrum Judaicum“ gelegt worden. Es sollte sich der Pflege und Bewahrung jüdischer Kultur widmen. Bis dahin war im Verwaltungstrakt des Gebäudes die Jüdische Gemeinde in der DDR untergebracht. Nach dem Anschluss an die BRD verbreitete insbesondere die „Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur“ systematisch die Lüge, in der DDR habe der Völkermord an den europäischen Juden durch den deutschen Faschismus keine, aber offizieller Antisemitismus eine große Rolle gespielt. 2009 erarbeitete daraufhin die frühere Bibliotheksleiterin der Jüdischen Gemeinde, Renate Kirchner, eine Bibliographie zum Thema „Jüdisches in Publikationen aus DDR-Verlagen 1945–1990“, die 2010 in dem Band „Die DDR und die Juden“ von Detlef Joseph erschien. Die Liste führt 1.086 Titel auf und nimmt in dem Buch fast 90 Seiten ein. Ähnliches gilt für die Filmproduktion der DEFA und des DDR-Fernsehens.
Selbstverständlich hat das die Schöpfer der Legende von der antisemitischen DDR nicht beeindruckt. Wo einmal Geschichtskenntnisse waren, sollen sie durch „Schicksalstag“ oder Ähnliches ersetzt werden.

Offenbar war das die Maxime der Redenschreiber von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich in den Kopf gesetzt hat, am 9. November jeden Jahres historisch Unzusammenhängendes zusammenzunageln. Er möchte keinen gesetzlichen Feiertag, aber einen Simultangedenktag an die Erschießung Robert Blums 1848, an die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann 1918, an das Pogrom von 1938 und an die Grenz­öffnung 1989. Imperialistische Kriege und Faschismus können so in Freud und Leid ersäuft werden. Und selbstverständlich fehlen im Geschichtseintopf die Ausrufung der sozialistischen Republik Deutschland durch Karl Liebknecht am 9. November 1918, aber auch – darauf machte Detlev Borchert im Internetportal „Telepolis“ parallel zu Steinmeiers Rede aufmerksam – zum Beispiel der 9. November 2001, als der Bundestag die „Antiterrorgesetze“ beschloss – das geschah „vorübergehend“. An diesem 20. Jahrestag waren sie immer noch gültig.

Die Social-Media-Truppe des Heeres löschte irgendwann am Nachmittag ihren Panzer-Tweet und begründete das mit „unsensibel“, man bitte um Entschuldigung. Das war überflüssig. „Panzerdienstag“ und die Rede Steinmeiers, der am „Volkstrauertag“ immerhin das Vergessen der sowjetischen Kriegsgefangenen in der BRD beklagte, sind voneinander nicht zu trennen.

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"„Panzer – Hurra!“", UZ vom 19. November 2021



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