Marc-Uwe Kling: QualityLand. Ullstein, Hardcover. 384 Seiten, 18,- Euro. ISBN-13 9783550050152
Das ist eine Kaufempfehlung für:
- Leser, die schon das kommunistische Känguru schätzten
- Leser, die intelligente Unterhaltung schätzen
- LeserInnen, die Humor haben
- LeserInnen, die wie der Autor zweimal ein Philosophiestudium abgebrochen haben
- LeserInnen, die sich über die Banalität deutscher Nachwuchsautoren nur noch wundern können
Marc-Uwe Kling hat sich vom Geheimtipp aus der Poetry-Slam-Szene zum Bestseller-Autor entwickelt. Das klingt erst mal alarmierend. Seine Lesungen sind ausverkauft, seine Bücher finden sich auch in eher literaturabstinenten Haushalten und wer etwas auf sich hält, zitiert das Känguru. Seine Geschichten aus dem Leben eines leidgeplagten Kleinkünstlers, der ein Schnapspralinen futterndes Beuteltier bei sich aufnimmt, sind aber auch eine Seltenheit auf dem deutschen Buchmarkt. Sie sind nämlich wahnsinnig witzig, kurzweilig und intelligent. Im Gegensatz zu anderen Kleinkünstlern (ah, das böse Wort!) ist Marc-Uwe Kling auch überaus politisch, kapitalismuskritisch und spiegelt mit seinen verrückten Ideen ein paar der besonders irren Auswüchse unseres zerstörerischen Gesellschaftssystems.
Nun dachten die meisten Fans, dass nach der Känguru Offenbarung nichts mehr kommen kann. Nur eine ähnlich geniale Idee könne die haushohen Erwartungen wenigstens im Ansatz erfüllen. Wenn das mal nicht die besten Voraussetzungen für eine ausgewachsene Schreibblockade sind. Zu meiner großen Freude durfte ich nach der Lektüre von Qualityland feststellen, dass Kling einen ganz neuen Ansatz gefunden hat, der an die Originalität und den besonderen Witz der Känguru-Bücher anknüpft. Kling beschreibt eine nicht allzu ferne Zukunft, in der alle zwischenmenschlichen Beziehungen durchoptimiert und für den maximalen Profit fehlerfrei justiert wurden. Die Digitalisierung hat auch die letzten Lebensbereiche durchdrungen und dient dort einzig dem alles bestimmenden Ziel der Profitmaximierung. So weit, so gruselig, so real. Klings große Stärke ist es, dass er reale Erfahrungen aus dem modernen Kapitalismus beim Namen nennt, die jeden Tag unterschwellig wahrzunehmen sind. Wenn man sie denn wahrnimmt. Das ist auf der einen Seite bizarr und manchmal urkomisch, oftmals bleibt einem aber auch das Lachen im Halse stecken.
Die Nachnamen in QualityLand wurden optimiert. So trägt jeder Junge den Beruf seines Vaters, jedes Mädchen den Nachnamen der Mutter als Nachnamen mit sich herum. Eine reine Utopie in dem Land, in dem die Schulbildung eines Kindes untrennbar mit der sozialen Herkunft verknüpft ist? Undenkbar, dass ein von einer dubiosen Firma kreiertes Punktesystem das soziale Leben eines jeden bestimmt? In dem in Qualityland vorherrschenden Bewertungssystem klingelt das Punktekonto, wenn sexuelle Aktivität, beruflicher Erfolg, Beziehungsstatus und Body-Mass-Index den gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen. Wehe dem, dessen Punktekonto in den einstelligen Bereich rutscht. Er gehört dann zur wachsenden Armee der Nutzlosen. Das Punktesystem der BRD manifestiert sich in Hartz-Gesetzen, die Titulierung „Nutzlose“ scheut man indes noch. Die Konsumschutzgesetze in Qualityland verbieten ausdrücklich die Reparatur kaputter Geräte und verhelfen dem Protagonisten Peter Arbeitsloser zu seinem Job als Maschinenverschrotter. Eine abwegige Vorstellung in Zeiten des IPhone 8? Lediglich die Idee, dass Algorithmen bereits die Verschickung des neuen Produktes per geschwätziger, selbstverliebter Drohne veranlassen, wenn der Empfänger es sich lediglich unterbewusst gewünscht hat, markiert eine neue Stufe.
In einer Welt voller Algorithmen sollte eigentlich nichts schief gehen. Doch für die Handlung des Buches ist es von großer Bedeutung, dass ein aus dem Ruder gelaufenes Programm des besten Onlinehändlers „The Shop“ dem sehr sympathischen Peter eines Tages ein Produkt zustellt, das er sich angeblich schon lange gewünscht hat. Aber ein rosafarbener Delfin-Vibrator? Dein Ernst, künstliche Intelligenz? Ganz gegen seine Gewohnheiten beschließt Peter gegen das System zu rebellieren. Er hat diesen Scheiß nicht bestellt und nicht gewünscht und er wird ihn nicht behalten! Punkt.
Peters Kampf gegen die Welt der Algorithmen und die Macht der herrschenden Elite ist die klassische Auseinandersetzung Gut gegen Böse, David gegen Goliath, die nichts an Aktualität oder Notwendigkeit eingebüßt hat. Allerdings wurde sie selten so witzig und verrückt in Szene gesetzt. Der mutige Peter Arbeitsloser wird nämlich von einer Drohne mit Flugangst, einem veralteten Touch-Pad und einem lustlosen Sexroboter unterstützt. Und nebenbei wird der erste Roboter-Präsidentschaftskandidat gekürt.
Klings Ideen sind komisch, seine Gedanken zu künstlicher Intelligenz, den damit verbundenen Chancen sind hochinteressant und auch unbedarfte Technikanalphabeten wie ich,haben sie mit Begeisterung gelesen. Es wird sehr deutlich, dass unter kapitalistischen Vorzeichen eine solche Entwicklung niemals zum Wohle der Menschheit eingesetzt wird, gleichwohl sie viele Voraussetzungen dafür mitbringt.