Am Mittwoch begann in Stuttgart der 102. Katholikentag. Wie wird er sich zu Aufrüstung, Waffenlieferungen, Krieg und Frieden positionieren? Am 10. März hatte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm und Waffenexporte in die Ukraine für „grundsätzlich plausibel“ und „ethisch vertretbar“ erklärt. Mehr noch: Die Kritiker des Rüstungs- und Waffenwahns sollen – so das Papier der Bischöfe – tunlichst „politische Kampfbegriffe“ wie „Aufrüstungspolitik“ oder „Militarisierung der Außenpolitik“ nicht mehr in den Mund nehmen. Doch plötzlich gab es ein Störfeuer aus unerwarteter Richtung. Der Vatikan widersprach dem Feldgottesdienst. Das Oberhaupt der katholischen Christenheit stellte in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“ am 3. Mai Überlegungen an, ob nicht das jahrelange „Bellen der NATO an der Tür Russlands“ als Grund der militärischen Intervention Russlands in der Ukraine angesehen werden müsse. Kaum ausgesprochen, löste der Satz erhebliche Irritationen im Kreis der deutschen Bischöfe aus. Gilt doch für päpstliche Worte seit dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870 das Dogma der Unfehlbarkeit.
Unangenehme Fragen nach den Ursachen des Krieges, von denen man hierzulande nichts hören will, noch dazu von „ganz oben“? Das darf nicht sein. Folglich beruhigt die katholische Presse ihre zweifelnden Leser mit der Erklärung, das sei „kein richtiges Interview“ gewesen, eher eine zufällige Abschweifung. Eine unangebrachte „Plauderei“, schreibt die katholische Wochenzeitung „Die Tagespost“ am 12. Mai. Die „Deutsche Welle“ (DW) ging weiter: Sie kommentierte die Gedanken des Papstes am 4. Mai in ihrer englischsprachigen Ausgabe. Er rede daher wie ein „Vorstadtpriester in Buenos Aires“. Als Kompliment war das nicht gemeint. Dem deutschen Publikum der DW wurde der Beitrag vorenthalten. Der ungebremste Hass auf alles Russische trieft seit Ende Februar aus jeder Zeile der katholischen Meinungspresse: So macht sich die „Tagespost“ am 10. März unter dem Titel „Im Visier“ Gedanken zur Rechtfertigung eines Tyrannenmordes. Vieles deutet darauf hin, dass auch der Katholikentag wieder zu jenem Grundsatz zurückkehren wird, der die Position der katholischen Kirchenführung vor dem NATO-Doppelbeschluss 1979 beherrschte: „Si vis pacem para bellum“ – Wer Frieden schaffen will, muss sich auf den Krieg vorbereiten.
Auch Vertreter der Evangelischen Kirche stehen nicht zurück, wenn es darum geht, die Uhren ins Mittelalter zurückzudrehen. Für die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sind Waffenlieferungen ein Garant für den „Überlebenskampf“ der Ukraine. Der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sieht den Kern einer Reform evangelischer Friedensethik im Prinzip, „sich mit Waffen zu verteidigen“.
Ob sich die Millionen Gläubigen hinter den Botschaften des allgegenwärtigen Feldgottesdienstes der Bischöfe scharen werden, ist allerdings fraglich. Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche, Bischof Friedrich Kramer, und die frühere Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, sehen keine Rechtfertigung für Waffenlieferungen und sagen „Nein zur massiven Aufrüstung!“. Das weltweit größte Kirchentreffen, die Vollversammlung des Ökumenischen Rates vom 31. August bis 8. September in Karlsruhe, verspricht spannend zu werden. Dort ist das Thema einer „Reform“ kirchlicher Friedensethik gerade auf die Tagesordnung gesetzt worden.