Ost und West – Unten und Oben

Mit vier biografischen Porträts machen wir die unterschiedlichen Auswirkungen auf das Leben und die individuelle Reflektion des 8. Mai 1945 deutlich. Befreiung für die einen, Niederlage, Zusammenbruch für andere. Für die einen Aufbruch und neue Möglichkeiten, für andere Verlust von Eigentum und Macht. Schon bald nach dem Mai sollten sich die Wege erneut kreuzen: Unten wurde im Westen wieder herabgedrückt, im Osten blieb Oben für vierzig Jahre unten.


Ungeahnte Möglichkeiten

Die ersten Lebensjahre des Chefs der Grenztruppen der DDR

baumgarten - Ost und West – Unten und Oben - Antifaschismus - Theorie & Geschichte
Klaus-Dieter Baumgarten

Klaus-Dieter Baumgarten wurde im Frühjahr 1931 im Südharz geboren. Er wuchs in einem kleinen Dörfchen auf, das landwirtschaftlich geprägt war. Sein Vater arbeitete als Gärtner auf dem Rittergut, auf dem sich viele Menschen als Landarbeiter ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. Er zog 1939 als Nazi in den Krieg, Klaus-Dieter wurde Mitglied im „Deutschen Jungvolk“. Die ideologische Arbeit der Faschisten verfing auch bei dem Jungen. Zweifel kamen erst gegen Ende des Krieges auf, als auch im Südharz Bombenangriffe zum Alltag wurden und die Berichte von den Niederlagen der Wehrmacht am Nimbus ihrer Unbesiegbarkeit kratzten. Hinzu kam, dass sich der Vater im Sommer 1944 als Besatzungssoldat in Belgrad das Leben nahm.

In den Bergen des Südharz waren die Menschen auch mit der Situation der KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter konfrontiert. In Bergstollen ließen die Faschisten kriegswichtige Waren produzieren, unter anderem Flugzeugmotoren. Die meisten Häftlinge gehörten zum Außenlager Mittelbau Dora des KZ Buchenwald. Sie wurden durch die Städte getrieben und mit Güterzügen zu ihren Einsatzgebieten gebracht. Neben den Produktionsstätten in den Bergstollen ließ die SS Ende 1944 ein Krematorium bauen, das aber bald nicht mehr ausreichte, um die durch die schwere Arbeit zu Grunde gerichteten Menschen zu verbrennen. Es wurden offene Scheiterhaufen errichtet.

In der Nähe des Wohnhauses mussten Ende des Jahres Häftlinge einen Stollen für einen Luftschutzbunker ausheben. Wochenlang hat Klaus-Dieter Baumgartens Mutter überlegt, bevor sie einen Wachsoldaten ansprach und bat, den ausgemergelten Menschen Essen geben zu dürfen. Dieser willigte trotz Lebensgefahr ein.

Das Heimatdorf wird im April 1945 von amerikanischen Soldaten befreit. Die Bewohner wollten nicht mehr kämpfen. Im Sommer desselben Jahres zogen sich die Amerikaner zurück und der Südharz kam unter die Verwaltung der Roten Armee. Die antikommunistische Propaganda saß auch bei Klaus-Dieter Baumgarten tief und so erfuhren die russischen Soldaten anfangs große Ablehnung. Erst mit der Zeit normalisierte sich das Verhältnis. Gleichzeitig machten sich viele Faschisten, darunter so mancher Lehrer, in den Westen auf.

Unter den jungen Menschen wuchsen die Zweifel und Fragen. Sie schlossen sich in antifaschistischen Jugendausschüssen zusammen, aus denen die FDJ hervorging. Auch Klaus-Dieter wurde Mitglied und spielte in der Kapelle erst Gitarre und dann Schlagzeug. Die Gitarre musste er an den Nagel hängen, da er während seiner Lehre zum Zimmermann bei Arbeitsunfällen beide Zeigefinger einbüßte.

Nach Abschluss der Lehre wurde er von einem alten Kommunisten, inzwischen Volkspolizist im Ort, angesprochen. Man brauche junge Genossen, da für die alten Nazis in der Volkspolizei kein Platz sei.

Klaus-Dieter Baumgarten willigte ein und stieg schließlich bis zum letzten Chef der DDR-Grenztruppen auf.

Björn Blach

Zum Weiterlesen:
Klaus-Dieter Baumgarten
Erinnerungen
edition ost


Die Söhne und Enkel des Kaisers

Die adeligen Hohenzollern und der Faschismus

Bundesarchiv Bild 102 14437 Tag von Potsdam Adolf Hitler Kronprinz Wilhelm - Ost und West – Unten und Oben - Antifaschismus - Theorie & Geschichte
Wilhelm (M.) und Hitler 1933 am Tag von Potsdam (Foto: Bundesarchiv, Bild 102-14437 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0)

Am 1. Dezember 1918 zwang die Novemberrevolution den Kronprinzen Wilhelm von Preußen zur Abdankung. Er floh zu seinem Vater ins niederländische Exil. Ein Prozess wegen Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg wurde ihm weder von den Siegermächten noch von Deutschland gemacht. Stattdessen bekamen die Hohenzollern 1926 in der Auseinandersetzung um die Fürstenenteignung etliche Schlösser und Landgüter zurück, die das Volk 1918 in seinen Besitz genommen hatte.

Neben dem Monopolkapital bekam auch der Adel wieder Oberwasser und so schrieb der Kronprinz 1928 aus Rom: „Sozialismus, Kommunismus, Demokratie und Freimaurerei sind ausgerottet, und zwar mit Stumpf und Stiel; eine geniale Brutalität hat dies zuwege gebracht.“

Anfang der 30er Jahre überlegte Wilhelm, in die Politik zu gehen und Hindenburg als Reichskanzler abzulösen. Die Absprachen mit Hitler standen schon, er sollte unter dem Kronprinzen Kanzler werden, da meldete sich der Vater aus dem Exil: Sollte der Sohn auf die verhasste Weimarer Republik einen Eid schwören, würde er enterbt werden.

Im Windschatten Hitlers arbeitete der Kronprinz weiter daran, wieder auf den Thron zu steigen, blieb dabei allerdings erfolglos. Das bewog ihn auch zum Kontakt mit den Verschwörern des 20. Juli. Er plante, mit deren Hilfe seinen verlorenen Posten wiederzuerlangen und hielt sich dann fern, da er wenig Aussicht hatte, seine Pläne zu verwirklichen.

Die Potsdamer Konferenz tagte 1945 im Cecilienhof, einem Schloss, das der Vater für seinen Sohn hatte bauen lassen. 1918 enteignet, ging es 1926 zurück in den Besitz des Adels und wurde mit Kriegsende ein weiteres Mal enteignet. Der Alliierte Kontrollrat beschloss dort die 4 D: Denazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung, um die Menschheit vom deutschen Faschismus und Militarismus endgültig zu befreien.

Auf dieser Grundlage erließ die sowjetische Militäradministration in Deutschland ihre Befehle. So auch die Bodenreform, mit der unter anderem die Hohenzollern entschädigungslos enteignet wurden.

Wenn sich die Nachkömmlinge von Kaiser und Kronprinz mit Forderungen nach Rückgabe und Entschädigung tummeln, behaupten sie, die Familie haben ja nicht „in erheblichem Umfang“ dem deutschen Faschismus Vorschub geleistet, und versuchen damit die Familientradition vergessen zu machen. Schon dieser kleine Überblick über die vier Ds reicht:

D1: Kronprinz Wilhelm unterstützte Hitler in der Hoffnung, den Thron für die Familie zurückzuerobern.
D2: Großadel und deutscher Militarismus sind aufs Engste miteinander verknüpft.
D3: Schon die „Weimarer Demokratie“ haben die Hohenzollern abgrundtief gehasst.
D4: In den Händen der Familie waren Grundeigentum, Immobilienbesitz und Kulturgüter massiv zentralisiert.

BB


Die Stärksten kämpfen ihr Leben lang …

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Karl Wagner

Die Not Anfang der 1930er Jahre, der beginnende faschistische Straßenterror, die beschwichtigende Tatenlosigkeit der SPD, sein instinktiver Hass auf alles Unrecht, das alles zog Karl Wagner zur KPD hin. Er verteilte im heute zu Stuttgart gehörenden Feuerbach den „Roten Bosch-Zünder“, schon bevor er schließlich Mitglied wurde.

Nachdem das Großkapital Hitler an die Macht gehievt hatte, wurden die führenden Kommunisten nach vorbereiteten Listen verhaftet. Die Feuerbacher Parteiorganisation stand schlagartig ohne Führung da. An ihre Stelle traten die Jungen, einer von ihnen Karl.

Heimliche Herausgabe des „Roten Bosch-Zünders“ bis auch er „hochging“. Verhaftung – 3 Monate KZ-Heuberg – Entlassung nach Unterschrift unter den Revers, sich „in Zukunft nicht mehr gegen Volk und Staat zu vergehen“ – Wiederaufnahme der illegalen Arbeit – erneute Festnahme – Flucht in die Schweiz – Rückkehr nach Deutschland – illegale Arbeit – Festnahme – „Moorsoldat“ im KZ Börgermoor – KZ-Welzheim – KZ Dachau – KZ Mauthausen – Wieder KZ Dachau.

In den KZ waren vor allem die Kommunisten bemüht, die Häftlinge zu organisieren. Karl wurde in die Arbeit der illegalen Lagerleitung einbezogen. Für ihn war es „die Partei“, die organisierte, dass Häftlinge, von Außeneinsätzen kommend, den eigenen Heißhunger missachtend und unter Lebensgefahr, ein Stückchen Brot für ihre Kameraden ins Lager schmuggelten.

Die Faschisten benutzten für die Verwaltung der KZ sogenannte Häftlingsfunktionäre. Mancherorts willfährige Knechte, die sich um geringfügiger Vorteile Willen am Schikanieren ihrer Mithäftlinge beteiligten. In anderen KZ gelang es den Kommunisten, in wichtige Positionen der „Häftlingsselbstverwaltung“ zu kommen und dies zur Organisation von Solidarität zu nutzen. Karl wurde einer dieser Kapos.

Als die Kapos für die SS Prügelstrafen vollstrecken sollten, beschloss „die Partei“: „Häftlinge schlagen nicht.“ Karl wurde von den Faschisten halbtot geprügelt, weil er sich daran hielt.

Der Bau einer Gaskammer und eines Krematoriums in Dachau konnte verhindert werden, indem die Häftlinge unter Führung des Lagerkapo Karl die Arbeit hinauszögerten, bis sie schließlich befreit wurden.

Nach 1945 Wiederaufnahme der Parteiarbeit. Betriebsrat (erst bei Kast und Ehinger in Feuerbach, später In der Pforzheimer Metallschlauchfabrik). Kampf gegen Remilitarisierung. Nach dem KPD-Verbot, zusammen mit seiner Kampfgefährtin und späteren Ehefrau Hilde, Mitglied des illegalen Kreisvorstandes in Pforzheim.

Scharfe Auseinandersetzungen mit dem anleitenden Funktionär in Fragen der gewerkschaftlichen Verankerung. Karls gelebte Position war offensive Verteidigung des Klassenstandpunktes und Verankerung durch eigene Autorität, statt durch Gnaden des Gewerkschaftsapparates.

Kampf gegen Notstandsgesetze, Arbeit in der VVN und in der Friedensbewegung, Stammgast im Jazzkeller, dem beliebten Treffpunkt linker Jugendlicher, Mitbegründer der DKP. Anleitung der jungen SDAJ-Genossinnen und -Genossen. Umzug nach Karlsruhe, wo vor allem jüngere Leute oft bis spätnachts in der Küche hockten und mit ihm diskutierten.

Er starb am 8. Oktober 1983 an den Spätfolgen der Misshandlungen in den KZs.

Manfred Jansen, Stiefsohn von Karl Wagner, der seine Entwicklung als Kommunist wesentlich mit prägte.

Zum Weiterlesen:
Hilde Wagner
Der Kapo der Kretiner


Energielieferant des Faschismus – Familie Quandt

Bundesarchiv Bild 146 1978 086 03 Joseph Goebbels mit Familie - Ost und West – Unten und Oben - Antifaschismus - Theorie & Geschichte
Harald Quandt (M.) in bester Gesellschaft (Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1978-086-03 / CC-BY-SA 3.0 DE)

An vielen Standorten im Nazireich produzierten die Betriebe der Familie Quandt Batterien für die Kriegsführung. Kein Panzer, kein LKW, kein U-Boot hätte sich bewegt ohne die Produkte der Quandts. In Hannover-Stöcken ließ die Firma des Günter Quandt, seit 1937 Wehrwirtschaftsführer, von unzähligen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern Akkumulatoren produzieren.

Das Außenlager des KZ Neuengamme in Hannover-Stöcken galt als Firmen-KZ der Familie. Hunderte Insassen wurden von der Gestapo-Leitstelle in Hannover-Ahlem ermordet. Ein weiterer Tatort: Gardelegen. Die Stadt in Sachsen-Anhalt war wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs Ort eines der brutalsten Naziverbrechen. In der zweiten Aprilwoche 1945 wurden in einer Feldscheune in Isenschnibbe bei Gardelegen über eintausend Zwangsarbeiter, auch aus den Quandt-Werken, von den Faschisten verbrannt.

Neben den Betrieben in Hannover müssen die Varta-Werke in Hagen als Stätten des Programms „Vernichtung durch Arbeit“ genannt werden.

Nach der Befreiung am 8. Mai 1945 wurde die Fabrik in Varta umgetauft. Die britischen Behörden waren an der weiteren Produktion interessiert und daher blieben die Quandts unbehelligt. Sie behielten ihr durch Zwangsarbeit und Krieg vergrößertes Vermögen, durften von Anfang an weitermachen.

Der Experte Prof. Ulrich Herbert stellte fest: „Es gibt Analysen, die zeigen, dass ein erheblicher Teil unseres Wirtschaftswunders auf der Entwicklung in diesen Kriegsjahren beruht, auf der Ausbeutung Europas und der Zwangsarbeiter.“ Dass die Quandts nicht für die Entschädigung der Zwangsarbeiter aus ihren Akku-Betrieben aufkamen, begründeten sie damit, dass diese ihnen nicht mehr gehörten. Aber auch die BMW, seit Ende der 1950er Jahre ihr neues ökonomisches Standbein, waren nur durch die Zwangsarbeit groß geworden.

Doch nicht nur ökonomisch ist die Familie eng mit dem Faschismus verbandelt. Günter Quandts Ex-Frau war seit 1931 mit Joseph Goebbels verheiratet. Quandts Sohn Harald wuchs in dieser Familie auf, erbte später die Hälfte des Firmenimperiums. Er versorgte Goebbels-Nachfolger Werner Naumann mit dem Direktorenposten der Firma Busch-Jäger, die zum Quandt-Konzern gehörte. Naumann gehörte zu den zentralen Figuren, die nach 1945 die Faschisten reorganisierten und ihren Einfluss sicherten.

An den verschiedenen Standorten der Firma Varta (früher AFA), soll nach Meinung der VVN-BdA jeweils eine Mahntafel angebracht werden mit einem Text, der darauf hinweist, dass dort einst Günther Quandt residierte, ein enger Partner der Nazis, die er förderte und von denen er wiederum unterstützt wurde. Er hat durch „Arisierung“ jüdische Kaufleute beraubt, einen der größten Rüstungskonzerne aufgebaut, die im Zweiten Weltkrieg systematisch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausbeuteten, so dass viele von ihnen starben. Mit seinen Verbrechen hat er ein großes Vermögen angehäuft und noch heute zählt daher die Familie Quandt zu den reichsten Europas. Die Tafel soll auf die verhängnisvolle Rolle von Wirtschaftskreisen in der NS-Zeit hinweisen. Sie soll der Mahnung dienen, solche Verbrechen nie wieder zuzulassen.

Ulli Sander

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"Ost und West – Unten und Oben", UZ vom 15. Mai 2020



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