Ursula von der Leyens EU-Kommission ist geprägt von Feindschaft gegen Russland

Orientierung auf weltpolitische Machtkämpfe und Konflikte

Ursula von der Leyen stellt die Weichen neu: Im entschlossenen Bestreben, die Militarisierung der EU voranzutreiben, beruft die Kommissionspräsidentin in ihre neue Kommission zum ersten Mal in der Geschichte der EU einen Verteidigungskommissar. Das Amt soll Andrius Kubilius übernehmen, ein ehemaliger Ministerpräsident Litauens, der zuletzt als Abgeordneter in der EVP-Fraktion im Europaparlament saß. Dort hat er sich vor allem als antirussischer Hardliner par excellence hervorgetan. Die antirussische Orientierung teilt er mit Kaja Kallas, der bis vor kurzem amtierenden Ministerpräsidentin Estlands, die ihr Amt im Juli niederlegte, um in Zukunft als EU-Außenbeauftragte tätig zu sein. Damit wird die EU auf den beiden Posten, die für ihre Aufrüstung und ihre politische Positionierung gegen Russland besondere Bedeutung besitzen, von eingefleischten Feinden Russlands aus dem Baltikum repräsentiert.

Kubilius wird sich freilich qua Amt ein wenig beschränken müssen. Zwar heißt sein neuer Posten Verteidigungskommissar, der Begriff ist allerdings ein wenig ambitioniert: In der EU unterstehen die nationalen Streitkräfte weiterhin den Mitgliedstaaten; die Kommission hat keinerlei Kompetenzen, ihnen Aufgaben welcher Art auch immer zu übertragen. Kubilius ist denn auch lediglich für Rüstung und Raumfahrt zuständig; die EU-Rüstungsstrategie sowie das EU-Rüstungsprogramm fallen in seinen Aufgabenbereich. Die Aufrüstung der EU allerdings soll er mit aller Kraft vorantreiben und er soll dazu neue Mittel beschaffen. Seine Chefin von der Leyen hat im Juni von einem Betrag von 500 Milliarden Euro innerhalb der kommenden zehn Jahre gesprochen. Kubilius wird zunächst klären müssen, wo das Geld herkommen soll. Denkbar wären entweder kräftige neue Zuwendungen der Mitgliedstaaten oder aber neue Schulden. Beides ist nicht wirklich populär. Kubilius wird wohl erheblich Druck machen müssen.

Die verstärkte Orientierung auf eskalierende weltpolitische Konflikte, auf die Machtkämpfe gegen Russland und gegen China, lässt sich auch anderweitig im Zuschnitt der neuen EU-Kommission erkennen. So ist beispielsweise die sogenannte Cybersicherheit künftig an prominenter Stelle angesiedelt: Mit Henna Virkkunen wird eine exekutive Vizepräsidentin der Kommission für sie zuständig sein. Als EU-Kommissarin bearbeitet sie ein Themenfeld mit dem vielsagenden Titel „Sicherheit, Demokratie und Werte“. Handelskommissar Maroš Šefčovič wird sich nicht nur für den Handel, sondern auch für „wirtschaftliche Sicherheit“ einsetzen – eine Chiffre, die meist mit Abwehrzöllen, mit dem Schutz von Lieferketten oder auch mit dem Verhängen von Sanktionen verbunden wird. Statt – wie 2019 – den „Green Deal“ hat von der Leyen die „Wettbewerbsfähigkeit“ der EU in den Mittelpunkt ihrer Pläne gestellt, also auf die Fähigkeit, sich ökonomisch gegen andere Mächte zu behaupten. Das zielt freilich nicht nur auf die Rivalität mit China, sondern auch auf diejenige mit den USA.

Um einige neue Kommissare dürfte es noch so manche Auseinandersetzungen geben – so etwa um Raffaele Fitto, den künftigen EU-Kommissar für Kohäsion und Reformen, der den Fratelli d’Italia von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angehört. Dem Bruch des Cordon sanitaire, der mit der Amtsübertragung an ein Mitglied einer ultrarechten Partei verbunden ist, stellen sich einige Abgeordnete im Europaparlament noch entgegen. Kritik gibt es zudem daran, dass die Aufgabenbereiche der EU-Kommissare häufig nicht klar gegeneinander abgegrenzt sind, sich oft sogar direkt überlappen, und die Hierarchien mehrdeutig bleiben. Ein EU-Diplomat sprach gegenüber dem Webportal Euractiv von einer „Kommission der Verwirrten“; ein anderer wies darauf hin, das sei strategisch gewollt: Es gebe von der Leyen die Möglichkeit, vorgeblich zum Zwecke der Klärung zu intervenieren und, wo auch immer sie dies wünsche, ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Die Kommissionspräsidentin baue das Kollegium der EU-Kommissare „in ein Präsidentenbüro“ um, urteilte Alberto Alemanno, Professor für EU-Recht an der „École des hautes études commerciales“ (HEC) Paris: Sie vollende damit den von ihren Amtsvorgängern José Manuel Barroso und Jean-Claude Juncker eingeleiteten „Präsidentialisierungsprozess“.

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"Orientierung auf weltpolitische Machtkämpfe und Konflikte", UZ vom 27. September 2024



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