Neue Verordnung aus Spahns Gesundheitsministerium zeigt große Schwächen

Orientierung am untersten Niveau?

Von Monika Münch-Steinbuch

Die Zahl der Pflegekräfte wird ins Verhältnis gesetzt zu der Zahl der behandelten Patienten pro Jahr“, erläuterte Jens Spahn auf „ärzteblatt.de“ im Hinblick auf eine neue Verordnung, die am 1. Oktober in Kraft tritt. „Alles andere würde Patienten gefährden.“ Und weiter folgert er: „Wenn das bedeutet, dass manche Krankenhausabteilungen schließen müssen, dann ist das so.“

Bei der Festlegung der Personaluntergrenzen orientiert sich die Verordnung des Gesundheitsministeriums nicht an den besten Standards in anderen Ländern wie Norwegen oder Kalifornien, sondern an den 25 Prozent der bundesdeutschen Krankenhäusern mit der schlechtesten Personalausstattung. Der Arbeitgeberverband Deutsche Krankenhausgesellschaft protestiert: Er wünscht die Verhältnisse in den 10 Prozent schlechtesten Kliniken als Untergrenze, konnte sich aber mit dem Spitzenverband der Krankenkassen GKV nicht – wie vorgeschrieben – bis zum 31. Juli einigen.

Für die übrigen 75 Prozent der Krankenhäuser ändert sich also zunächst nichts, es sei denn, sie fahren ihre Personalausstattung auf das Niveau der schlechtesten 25 Prozent herunter – nach dem Kabinettsentwurf des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes ist die vollständige Refinanzierung von zusätzlichen Pflegestellen erst ab 1. Januar 2019 vorgesehen. Fachleute befürchten, dass für 2018 geplante Einstellungen auf nächstes Jahr verschoben bzw. freiwerdende Stellen erst nächstes Jahr wieder besetzt werden.

Dieses Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) enthält einige Bonbons, z. B.:

• Seit 2004 werden die Betriebskosten als Kosten der Krankenhäuser über die Fallpauschalen (DRGs) gegenüber den Krankenkassen abgerechnet. 15 000 mögliche Krankheiten wurden mittels 30000 möglichen Behandlungsschritten in 1 200 Fallpauschalen gepresst.

Der Pflegedienst ist neben den Patienten selbst Hauptleidtragender dieses Finanzierungssystems: Inzwischen fehlen etwa 100 000 Pflegekräfte in den Krankenhäusern. Der Kostenanteil des Pflegedienstes soll nun herausgerechnet und von den Kassen nach tatsächlichem Aufwand bezahlt werden ohne vorherige Wirtschaftlichkeitsprüfung. Im „Deutschen Ärzteblatt“ wird dies als Paradigmenwechsel in der Krankenhausfinanzierung gefeiert hin zu einer mehr bedarfsgerechten Versorgung der Patienten und mit der Forderung verbunden, alle Personalkosten aus den Fallpauschalen rauszurechnen und gesondert zu finanzieren, da auch alle anderen Berufsgruppen in den Kliniken vom Personalmangel betroffen sind.

• Refinanzierung von Tariferhöhungen: Die Kassen werden schon 2018 zur 100-prozentigen Finanzierung von Tariferhöhungen im Pflegedienst verpflichtet (Anmerkung: das war für Verdi sehr wichtig), so dass Tarifsteigerungen nicht mehr mit Personalabbau kompensiert werden können. Für alle anderen Berufsgruppen müssen sie nur 50 Prozent übernehmen. Es hat sich also für die Pflege gelohnt zu kämpfen. Ob es gelingt, Personaleinsparungen in anderen Bereichen zu verhindern und die gleiche Bezahlung von Tarifsteigerungen durchzusetzen, hängt nicht zuletzt von der Kampfbereitschaft der Beschäftigten ab.

• 13 000 Pflegestellen mehr für die Altenpflege, 50 Prozent Zuschüsse für Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf, Pflege und Familie, ein Euro mehr pro Beschäftigten zur betrieblichen Gesundheitsvorsorge

aber:

• Ab 2020 muss ein krankenhaus-individuelles Budget mit den Kliniken ausgehandelt werden. Dies geschieht auf der Grundlage des Pflegelastkatalogs, der die herausgerechneten Anteile der Pflege an den Fallpauschalen enthält. Statt Spitzabrechnung ist eine erneute risikoreiche Pauschalierung geplant. Anteile des Pflegebudgets können auch für EDV oder Outsourcing verwendet werden, wenn dadurch Pflegepersonalkosten eingespart werden.

• Ab 2021 fällt der Versorgungszuschlag von 500 Euro für die Kliniken weg.

• Durch strukturelle Veränderungen, z. B. integrierte Notfallversorgung, Schließung, Zusammenlegung und Umwidmung von Abteilungen, ja ganzen Kliniken soll Pflegepersonal umverteilt werden: „Als Folge des Abbaus nicht bedarfsgerechter Doppelstrukturen kann auch das Pflegepersonal effizienter … eingesetzt werden“ (Referentenentwurf PpSG S. 57)

Wer definiert „bedarfsgerecht“? Der Sachverständigenrat der Bundesregierung in seinem Gutachten 2018 mit dem Titel „Bedarfsgerechte Steuerung im Gesundheitswesen“? Diese Gutachter träumen von der Reduzierung von über 1 900 Krankenhäusern auf bundesweit 330 – nach dänischem Modell.

 

Patienten pro Pflegekraft ab 1. Januar 2019 im Jahresdurchschnitt

Bereich                                Tagschicht                        Nachtschicht

Intensivmedzin                        2:1                                      3:1

Geriatrie                            MO-FR 10:1                              24:1

                           (11:1 am WE und feiertags)   

Unfallchirurgie                   MO-FR 10:1                              20:1

                           (11:1 am WE und feiertags)    (21:1 WE und feiertags)

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Orientierung am untersten Niveau?", UZ vom 7. September 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit