Staatschef Recep Tayyip Erdogan und seine regierende AKP feiern. Beim Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei haben sie sich durchgesetzt. Knapp mit offiziell nur 51,4 Prozent Ja-Stimmen gegen 48,6 Prozent. Manipulationsvorwürfe der Opposition und Bedenken der OSZE-Beobachter ob der ungleichen Wahlkampfbedingungen wischen sie vom Tisch. Klar ist allerdings: Die Abstimmung am 16. April war weder frei noch fair. Führende Oppositionspolitiker der prokurdischen HDP sowie tausende lokale Mandatsträger sitzen ebenso im Gefängnis wie rund 150 regierungskritische Journalisten. Die großen TV-Sender sind seit Wochen gleichgeschaltet und strahlen in einer Art Dauerschleife Auftritte von Erdogan und seinen Gefolgsleuten aus. Die AKP-Granden sind omnipräsent, sie hetzen und wettern auf den zentralen Plätzen, fliegen auf Staatskosten zu Wahlkampfgroßauftritten, während dem Nein-Lager selbst Infotische verboten werden.
Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke im Bundestag, brachte die Wahlrealität im NATO-Land Türkei auf den Punkt: „Dieses Referendum ist so frei wie die letzte Reichstagswahl am 5. März 1933 in Deutschland, als bereits alle kommunistischen Abgeordneten verhaftet waren und Kundgebungen der Arbeiterparteien polizeilich aufgelöst wurden, wie es im Moment beim Nein-Lager in der Türkei unter dem Ausnahmezustand auch oftmals der Fall ist.“
Die Wahlinszenierung vom 16. April soll die seit langem verfolgte Umwandlung der Republik Türkei in eine islamistische Präsidialdiktatur mit scheindemokratischen Lorbeeren schmücken. Mit der Verfassungsänderung wird die Gewaltenteilung aufgehoben. Der seit dem vereitelten Militärputschversuch im Juli 2016 geltende Ausnahmezustand wird fortan zum Normalzustand. Formal wird die neue Verfassung aber erst 2019 wirksam und so wurde der Ausnahmezustand kurz nach dem Referendum abermals um drei Monate verlängert. So kann Staatschef Erdogan weiter seine Herrschaft per Dekret exekutieren. Konkret: Kritiker einsperren und gegen Kurden Krieg führen.
Konkrete Konsequenzen wollen Bundesregierung und EU aus Erdogans Coup nicht ziehen. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) will „nach neuen Gesprächsformen suchen, denn die Türkei bleibt unser Nachbar“. Einen Ausschluss der Türkei aus der NATO lehnt der Sozialdemokrat ausdrücklich ab – mit einem freimütigen Bekenntnis, das Erdogan als Carte blanche werten wird: „Auch während der Militärdiktatur in der Türkei ist zum Beispiel niemand auf die Idee gekommen, die Türkei aus der NATO auszuschließen – weil wir nicht wollten, dass sie in Richtung der Sowjetunion geht. Ähnliche Interessen haben wir heute.“