Vier Wochen nach dem Beginn schwerer Unruhen will die Opposition das Land weiter ruinieren, um Präsident Daniel Ortega und Vizepräsidentin Rosario Murillo zum Rücktritt zu zwingen. Die Allianz von Unternehmern, Studentenvertretern, rechten Parteien und der katholischen Kirche verharmlost die gewalttätigen Gruppen, die die Bevölkerung durch Brandstiftung an öffentlichen Gebäuden, Plünderungen von Geschäften, Entführung von Bussen und Straßensperren in Managua und auf den Landstraßen terrorisieren. Beim Auftakt zum nationalen Dialog ergriff die eigentlich als Vermittler benannte Episkopalkonferenz Partei für die Opposition. Ein Themenkatalog war bei Redaktionschluss noch nicht bekannt.
Die Regierung hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) zur Untersuchung der Ereignisse nach dem 19. April eingeladen. Damit und mit dem Rückzug der Polizei aus der Öffentlichkeit wurden zwei wesentliche Forderung der Opposition erfüllt. Trotzdem warf die Oppositionsallianz Präsident Ortega beim Auftakt zum nationalen Dialog vor, die Polizei würde weiter friedlichen Protest unterdrücken und müsse sofort abgezogen werden. Ortega verwies auf die drei großen Kundgebungen rechter Gruppen und der Unternehmerschaft in Managua ohne Polizeipräsenz. Mit einer Ausnahme, weil die Veranstalter selbst die Polizei um Sicherung eines Autokorsos gebeten hatten. Im Anschluss daran kamen vier Verkehrspolizisten mit Schussverletzungen ins Krankenhaus. Ortega erinnerte daran, dass in Matagalpa und Masaya die Polizei trotz direkter Angriffe mit Sturmgewehr, Brandsätzen und Explosivladungen keinen Schuss abgegeben habe. Die Bevölkerung würde wegen der Plünderungen und Überfälle selbst nach der Polizei rufen. Die Frage nach der Verantwortung der Polizei für die Toten der vergangenen Wochen ist bisher unbeantwortet, ebenso die nach der anderer Akteure.
Ortega bestritt die pauschale Friedfertigkeit der nach dem 19. April neu entstandenen Studentenorganisationen mit Hinweis auf die zunehmende Gewalt, die von der weiträumig verbarrikadierten Universität UPOLI ausgeht. „Seht in der UPOLI nach, dort gibt es Kalaschnikows und andere Waffen“, forderte Ortega die Pressevertreter auf.
Auffällig war, dass die Studentenvertreter ertappt schwiegen und nicht mit wütendem Geschrei reagierten. Hinter ihnen saß als Souffleuse Zaida Hernández von der Bewegung der Sandinistischen Erneuerung (MRS), die seit geraumer Zeit den gewaltsamen Sturz des Präsidenten Ortega propagiert. Die TV-Mikrofone übertrugen, wie Hernández die Studenten zu Beleidigungen gegen Ortega anstachelte. Die Bischöfe schritten nicht mäßigend ein, der Kurien-Sekretär griff den Präsidenten unisono mit den Studenten an. Die MRS-Gründerin Dora María Téllez forderte in einem Internet-Video: „Daniel Ortega soll zurücktreten und mit seiner Familie Nicaragua verlassen.“
Die Exilierung Ortegas wäre im Sinn des Unternehmerverbands COSEP, der unter der Regierung Ortega seine politischen Machtansprüche nicht erreicht hat. Er will die Ausweitung der steuer-teilbefreiten Unternehmen in der Freihandelszone begrenzen, die für die Regierung bei der Schaffung sozialversicherter Arbeitsplätze für den Ausbau des Gesundheitswesens und der Rentenversicherung wichtig sind. Differenzen gibt es auch bei den Plänen für neue Steuer-, Finanz- und Telekommunikationsgesetze. Die von der Regierung vollzogene Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns und die Reform der Sozialversicherung waren für den COSEP zu viel. „Das Bündnis Ihrer Regierung mit dem COSEP ist geplatzt!“, rief hämisch der wortführende Studentenvertreter Lester Alemán, flankiert von COSEP-Bossen, dem Präsidenten Ortega zu.
Geplatzt ist damit die konzertierte Aktion unter Einbeziehung der Gewerkschaften. Die Unternehmer stellen die Machtfrage, ihre Stoßtrupps haben die Straßen besetzt und wollen sie bis zur Absetzung Ortegas nicht mehr hergeben. Die Armee erklärte, nicht gegen die Bevölkerung einschreiten zu wollen, sondern nur strategisch wichtige Anlagen, z. B. den Flughafen und staatliche Krankenhäuser, zu schützen.