Ein streitbarer Theologe: Der Christ und Sozialist Erwin Eckert trat vor 90 Jahren in die KPD ein

Opposition, nicht Koalition!

Erwin Eckert, Jahrgang 1893, studierte nach dem Abitur Theologie und wurde 1911 Mitglied der SPD. Nach Kriegsende war er zunächst in Meersburg, ab 1927 in Mannheim als Pfarrer tätig und von 1926 bis 1931 Vorsitzender des „Bundes der religiösen Sozialisten Deutschlands“. Eine antifaschistische Rede im Dezember 1930 nahm die Kirchenleitung zum Anlass, ihm ein Redeverbot aufzuerlegen und ihn des Amtes zu entheben. Seine endgültige Entlassung aus dem Kirchendienst folgte kurz darauf, woraufhin er aus der Kirche austrat, ohne allerdings seinen Glauben aufzugeben.

Nachdem Erwin Eckert sich im September 1931 mit den von der SPD-Führung aus der Partei ausgeschlossenen Reichstagsabgeordneten Max Seydewitz und Kurt Rosenfeld solidarisch gezeigt hatte, war auch er vom Ausschluss betroffen. Bereits einen Tag später trat er der KPD bei.

Nach der Machtübertragung an den Faschismus wurde Erwin Eckert von März bis Oktober 1933 inhaftiert; im Oktober 1936 folgte eine Zuchthausstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“. Die Kriegsjahre verbrachte er als kaufmännischer Angestellter in Frankfurt am Main.

Während der Nachkriegsjahre war Erwin Eckert von 1946 bis 1950 Vorsitzender der KPD in Baden, Staatsrat und Staatskommissar für Wiederaufbau sowie von 1947 bis 1956 Abgeordneter der Landtage von Baden und Baden-Württemberg. 1949 kandidierte er in Mannheim für das Amt des Oberbürgermeisters und erzielte mit 35 Prozent der Stimmen ein beachtliches Ergebnis; im Jahr darauf wurde er als deutscher Vertreter in den Weltfriedensrat gewählt.

Wie so viele andere deutsche Kommunisten litt auch Erwin Eckert unter der Verfolgung durch die Klassenjustiz der Adenauer-Republik – 1960 verurteilte man ihn wegen „Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung“ zu einer – wenn auch zur Bewährung ausgesetzten – neunmonatigen Gefängnisstrafe. Der Friedensrat der DDR zeichnete ihn für seine antifaschistische und antimilitaristische Arbeit mit der „Carl-von-Ossietzky-Medaille“ aus; vier Jahre später, im Jahr 1968, wurde er Mitglied der DKP. Im Dezember 1972 starb er 79-jährig in Mannheim.

Im Oktober 1930, also noch vor seinem Ausschluss aus der SPD, veröffentlichte Erwin Eckert unter dem Eindruck der Septemberwahlen in der linkssozialdemokratischen Zeitschrift „Der Klassenkampf“ den Artikel „Opposition, nicht Koalition!“, mit dem er den Kurs der Partei scharf kritisierte. UZ dokumentiert den Beitrag in Auszügen:

[…] Die Bedeutung des Stimmenverlustes von etwa 600.000 Stimmen wird dann erst richtig eingeschätzt, wenn man sich klarmacht, dass unter den am 14. September abgegebenen Stimmen eine nicht unbeträchtliche Zahl von früher demokratisch wählenden Volksgenossen enthalten ist, die ihren Führern Erkelenz und Potthoff gefolgt sind, um die „große, linke, demokratische Partei zu stärken“. Ist das richtig, dann haben wir fraglos eine große Zahl von bisher entschieden sozialistisch Wählenden verloren, die zur KPD gegangen sind.

[…] Es ist keine Entschuldigung und keine Erklärung für unsere verlustreichen Wahlergebnisse, dass die Arbeitslosigkeit „daran schuld“ sei, es ist eher eine scharfe Anklage in dieser Entschuldigung enthalten dagegen, dass unsere Partei nicht vermocht hat, die Arbeitslosen an sich zu ketten, die Partei der Arbeitslosen, der eigentlichen Opfer der heutigen kapitalistischen Krise, zu werden und als solche zu gelten. Es ist töricht, immer wieder davon zu sprechen, dass in Zeiten wirtschaftlicher Depression solche Wahlen verständlich seien. Die SPD hat nach meiner Auffassung in erster Linie die Pflicht, gerade in solchen Zeiten der wirtschaftlichen Depression die Zuflucht aller Bedrückten und hoffnungslos Gewordenen zu sein.

Wir haben diese Wahl verloren, weil wir eine verkehrte politische Linie eingehalten haben. Diese verkehrte Linie aber ist die Folge der falschen Analyse des gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die führenden Parteigenossen waren des besten Glaubens, dass man in einer Zeit der kapitalistischen Krise sich, um das Schlimmste zu verhüten, an der Regierung beteiligen müsse. Man konnte das noch zugeben Anfang 1928 und noch nach den Maiwahlen. Man konnte der Auffassung sein, dass es einen Weg der Verhandlung und der Kompromisse mit den politischen Vertretern der bürgerlich-kapitalistischen Front gebe. Aber schon die Schwierigkeiten bei der Bildung des Kabinetts Müller und die ersten entscheidenden Kämpfe innerhalb des Kabinetts machten es klar, oder sollten es wenigstens auch den vertrauensseligsten Genossen deutlich gezeigt haben, wie unmöglich es ist, in einem in seiner Majorität kapitalistisch orientierten Kabinett unter sozialistischer Kanzlerschaft etwas für die Arbeiterklasse Entscheidendes zu erreichen.

[…] Aus dem Vergangenen zu lernen, ist die erste Voraussetzung eines zukünftigen Sieges, die gegenwärtige Situation richtig erkennen, die eigenen Kräfte richtig einzuschätzen aber ist der erste Schritt einem neuen Ziele zu. Für einen Sozialisten und Marxisten sind nicht die Ansichten eines einzelnen oder irgendeine Idee maßgebend für die zu fassenden Entschlüsse, sondern die objektive Situation des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Erst die nüchterne Analyse der wirtschaftlichen und staatspolitischen Lage kann uns das im Augenblick notwendige Handeln zeigen.

[…] Die Wirtschaftskrise ist vor aller Augen, sie ist überall, auch in den siegreichen Ländern, die glaubten, durch die Kontributionen der Besiegten der Schwierigkeiten Herr zu werden. Ja, gerade die Übersättigung der Märkte und die Desorganisation der Produktion, die durch die Stauungen in den verschiedensten Absatzgebieten verursacht wurde, treibt die internationale Bourgeoisie zu immer neuen, sich überstürzenden Sicherungsmaßnahmen, die allerdings nur neue Schwierigkeiten schaffen und zur Evidenz zeigen, dass die kapitalistische Wirtschaft nicht mehr imstande ist, die jeder Wirtschaft obliegende Pflicht zu erfüllen, Brot und Arbeit für alle zu schaffen. Das deutlichste Symptom der sich verschärfenden Krise ist die Massenarbeitslosigkeit bei gesteigerter Produktion, der Hunger der Massen bei vollen Scheuern und Warenlagern.

Insbesondere der kommende Winter wird uns eine wirtschaftliche Krisis bringen, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Es ist möglich, dass nur die politische und wirtschaftliche Machtergreifung durch das Proletariat der Rat- und Hilflosigkeit wird abhelfen können. Die Vorzeichen der nahenden Entscheidung kann jeder, der guten Willens ist, sehen. Die Börse ist unsicher, die Zahlungsmittel sind nicht mehr stabil, Kredite werden bereits jetzt gekündigt. Lohndruck auf der ganzen Linie steht bevor; die Berliner Metallindustriellen haben nur angefangen mit ihren 15 Prozent Abbau. Massenentlassungen sind vorbereitet. Preissteigerungen der lebenswichtigsten Produkte sind unaufhaltbar. Die Kartelle und Syndikate halten nicht umsonst die Preisgestaltung in der äußersten Spannung. Es ist ganz sinnlos, etwa durch staatliche Maßnahmen diese Entwicklung aufhalten zu wollen, und der kapitalistischen Methode nicht zugleich das Lebenslicht auszublasen. Der Kapitalismus wehrt sich mit allen Mitteln um sein Leben, er ist zwangsläufig dazu gezwungen. Er muss die Maske fallen lassen und brutal werden, um am Leben bleiben zu können – vorläufig.

[…] Die Demokratie wird ausgehöhlt, der Faschismus wird als das Instrument und als die Waffe bürgerlicher Macht ausgebildet, zunächst unter revolutionär klingenden Parolen. Er wird solange zurückgehalten, bis nach menschlichem Ermessen das Risiko von Seiten der physischen Gewalten der Republik, der Reichswehr etwa und der Polizei, nicht mehr groß ist.

Man macht „Revolution“, lies „bürgerliche Revolution“, nicht gegen die Machtmittel des „Staates“, sondern mit ihnen! Die durchsickernden Absichten der Nationalsozialisten lassen das deutlich erkennen. Es gibt keine Macht gegen die faschistische Gefahr als das klassenbewusste Proletariat. Das Proletariat von der Illusion zu befreien, als ob die Mittel der „Demokratie“ – welcher Demokratie und welche Mittel? – ausreichen würden, um gegen das seinen Verzweiflungskampf kämpfende Bürgertum die Interessen des ganzen Volkes, also auch des Proletariats, zu verteidigen, ist die gegenwärtige Hauptaufgabe der sozialistischen Agitation.
Wenn die Lage so ist, wie ich sie zu umreißen versuchte, dann wäre es ein Verbrechen, die große Arbeiterpartei SPD zu einer Koalition aufzumuntern.
[…] Linke Opposition, nicht etwa Linksopportunismus! Ehrliche, klassenbewusste Opposition ist die Forderung der Stunde!

Auch dann Opposition, wenn man uns mit dem Schreckgespenst der faschistischen Diktatur Bange machen und uns veranlassen will, das „kleinere Übel“ einer Duldung des Minderheitenkabinetts Brüning oder gar der Beteiligung an einem Minderheitenkabinett zu wählen! Es hat den Anschein, als ob die allenthalben veröffentlichten strengen Maßnahmen Brünings eine Angstpsychose bei der SPD auslösen sollen, die schließlich bei einer Minderung der „ursprünglich beabsichtigten schärferen Maßnahmen“ bereit sein soll, zur „Rettung der Demokratie und des Staates“ die Verantwortung wieder mitzuübernehmen!
Wir warnen vor einer solchen Politik! In solchen entscheidenden Situationen braucht das Proletariat sein Selbstbewusstsein und seinen Mut mehr als das tägliche Brot.

Die konkrete Aufgabe der Partei aber ist es darum, der Masse jede Illusion zu nehmen, die Betriebe zu politisieren, die Erwerbslosen organisatorisch zu erfassen durch besondere Ausschüsse, das Reichsbanner zu einer Arbeiterwehr zu machen und die Gewerkschaften aus „Wirtschaftsvertretungen“ zu Kampforganisationen des Proletariats. Nichts anderes als bereit sein zum Entscheidungskampf zwischen Kapital und Arbeit, das ist die Aufgabe unserer Partei. Die Vertreter in den Parlamenten haben m.  E. die Aufgabe, bei jeder Gelegenheit die Unfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaft zu brandmarken, als Anklägerin der Massen Gesetze zu verlangen, die den Sturz der kapitalistischen Unordnung erzwingen.

Es gibt keinen anderen Weg mehr, als diesen der entschlossenen Opposition, die zu allem bereit ist, um das Elend der Massen zu lindern durch die Errichtung der sozialistischen Ordnung.

In voller Länge findet sich der Artikel unter: kurzelinks.de/wwaf
Die nach dem Eintritt Erwin Eckerts in die KPD von der Partei in hoher Auflage herausgebrachte Broschüre „Die Kirche und der Kommunismus – Stadtpfarrer Eckert kommt zur KPD“ sowie Näheres über sein Leben und Wirken sind als PDF nachzulesen unter: kurzelinks.de/xwzr

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"Opposition, nicht Koalition!", UZ vom 1. Oktober 2021



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