Die Demokratisierung der Kommunalpolitik hat scheinbar Hochkonjunktur. Landauf, landab trägt man den Begriff der „Bürgerbeteiligung“ vor sich her – eine Monstranz, mit der sich Bürgermeister, Landräte und Ratsmitglieder schmücken. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt meist ein Geheimnis. Nicht selten sind formale Anhörungen oder fruchtlose Anwohnerversammlungen gemeint. Einwände werden geäußert, aufgeschrieben und abgeheftet. Von echter Mitwirkung am Geschehen kann keine Rede sein. Vielmehr geht es um die Integration der Einwohnerschaft in längst beschlossene Vorhaben. Die höhere Weisheit hinter den Rats- und Verwaltungsbeschlüssen steht dabei außer Frage. Widerstand wird, ohne es auszusprechen, als „dumm“ oder „demagogisch“ betrachtet. Von oben herab versucht man, den unwissenden Pöbel von der Großartigkeit (oder der Unvermeidlichkeit) des Kommenden zu überzeugen. Die gelieferten Informationen mögen echt sein – die „Beteiligung“ ist oft nur simuliert.
Doch es gibt Beteiligungsverfahren, die tatsächlich Auswirkungen haben können. Darauf ist man in bürgerlichen Kreisen besonders stolz – solange sie nicht genutzt werden. Wehe dem, der im Rahmen der geltenden Gesetze versucht, gesellschaftlichen Veränderungen zu erreichen. Das müssen die Menschen in Niedersachsen jetzt erfahren. Im letzten Jahr gab es in diesem Bundesland 38 Bürgerbegehren. Zu viele, findet die rot-schwarze Landesregierung, und strebt nun eine Änderung der Kommunalverfassung an. In der entsprechenden Gesetzesvorlage heißt es, dass Bürgerbegehren zukünftig nicht mehr zulässig sein sollen, wenn sie Entscheidungen der Kommune „als Träger von Krankenhäusern oder des Rettungsdienstes“ berühren. Wenn das Gesetz beschlossen wird, dürfen keine Bürgerentscheide gegen Klinikschließungen, Standortverlagerungen oder für eine bessere Gesundheitsversorgung mehr durchgeführt werden. Mitten in der Pandemie soll so der Widerstand gegen einen profitorientierten Umbau der Krankenhauslandschaft gebrochen werden.
„Bürgerbegehren torpedieren regelmäßig die Standortentscheidungen vor Ort“, erklärte eine Sprecherin des niedersächsischen Gesundheitsministeriums gegenüber der „ÄrzteZeitung“. Die Kriegsrhetorik, die demokratisches Engagement zum Angriffsakt verklärt, zeugt von der Angst vor der eigenen Bevölkerung. Tatsächlich regt sich Unmut gegen die niedersächsische Gesundheitspolitik. Ein Beispiel aus dem Heidekreis: Hier sollen zwei kommunale Krankenhäuser in Soltau und Walsrode geschlossen werden. Ziel ist es, „wirtschaftlicher“ zu arbeiten und zukünftig nur noch eine Klinik in Bad Fallingbostel zu betreiben. Ein Bürgerbegehren richtete sich formal gegen den neuen Standort, der nicht im Zentrum des Heidekreises liegt. Damit stand die gesamte Entscheidung öffentlich zur Diskussion. Kein Wunder also, dass der Vorstoß aus der Bürgerschaft vom ersten Tag an attackiert wurde. Selbst die Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) griff in die Debatte ein und drohte in der „Walsroder Zeitung“ unterschwellig mit dem Entzug von Fördermitteln: Eine „Investition des Landes“ setze voraus, „dass es einen breiten Konsens in der Bevölkerung gibt“.
Das Bürgerbegehren scheiterte kürzlich, doch der Argwohn der Staatskanzlei ist geweckt. Unterstützung findet die Landesregierung bei den kommunalen Spitzenverbänden und dem Direktor der „Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft“, Helge Engelke. In der „ÄrzteZeitung“ führte er aus, dass das Thema „zu komplex“ sei, „um es über Bürgerentscheide lösen zu können“. „Bürgerbeteiligung“ findet nicht auf Augenhöhe statt. Sie wird vielmehr als erzieherische Maßnahme verstanden. Sobald sie droht, der Profitlogik oder dem neoliberalen Raubbau an der Gesellschaft zuwiderzulaufen, wird sie sabotiert, verächtlich gemacht oder ganz verboten.