In der Berliner Krankenhausbewegung haben sich Beschäftigte der Charité, von Vivantes und der Vivantes-Tochterunternehmen zusammengeschlossen. Sie kämpfen gemeinsam für gute Arbeitsbedingungen und mehr Personal. Das Ziel ist ein Tarifvertrag Entlastung sowie die Anwendung des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) für alle Beschäftigten.
Massive Streiks zwangen die Vivantes-Geschäftsführung an den Verhandlungstisch, eine Einigung konnte jedoch bis Redaktionsschluss nicht erzielt werden. ver.di kündigte an, dass sowohl die Verhandlungen als auch die Streiks in dieser Woche fortgesetzt werden würden. UZ sprach mit Silvia Habekost. Sie arbeitet als Pflegerin in der Anästhesie bei Vivantes und ist eine der Initiatorinnen der Berliner Krankenhausbewegung.
UZ: Ihr habt in den vergangenen Wochen massive Streiks durchgeführt – ganze Stationen sind deshalb dicht gemacht worden. Wie hat die Vivantes-Geschäftsführung darauf reagiert? Zumindest habt ihr sie ja an den Verhandlungstisch zwingen können.
Silvia Habekost: Ich möchte hier betonen, dass die Berliner Krankenhausbewegung Vivantes, die Vivantes Töchter und die Charité umfasst. Dass wir uns gemeinsam auf den Weg gemacht haben und gemeinsam die Stärke aufgebaut haben macht die Macht dieser Bewegung aus.
Die Arbeitgeber haben anfangs unterschiedlich reagiert, aber inzwischen sind die Reaktionen ähnlich. Sie haben 100 Tage während des Ultimatums und noch die 20 Tage danach Zeit gehabt, ein Angebot vorzulegen, was einen unbefristeten Streik verhindert hätte. Wir hatten auch gesagt, dass wir die Tarifentlastung gemeinsam für Charité und Vivantes verhandeln wollen, weil es nicht angeht, dass es unterschiedliche Personalstandards bei den beiden Unternehmen geben kann. Das ist nicht passiert, aber genauso, wie wir uns absprechen, machen das auch die Arbeitgeber.
Dass der Streik so lange dauert liegt auch an der bisherigen Haltung der Geschäftsführung, dass unter Streik nicht verhandelt wird. Das passiert aber jetzt. Für uns ist klar: Ohne Streik bekommen wir kein Ergebnis, das unseren Vorstellungen entspricht. Wir üben auch Druck auf die Politik aus. Der wird auch weiter nötig sein – vor allem, weil die Vivantes-Töchter endlich einen Tarifvertrag brauchen, der nahe am TVöD dran ist.
UZ: Mit der erfolgreichen Mobilisierung für die Streiks kam der Vorwurf, diese würden Patientinnen und Patienten gefährden. 16 Ärztliche Direktoren bei Vivantes sprachen sogar von „akuter“ Gefährdung von Leben. Wie reagiert ihr auf diesen sehr drastischen Vorwurf?
Silvia Habekost: Wir betonen immer wieder, dass es der Normalzustand ist, der die Patientinnen und Patienten gefährdet, und nicht der Streik. Es wäre besser, dass sich die Chefärztinnen und -ärzte auf unsere Seite stellen. Patientengefährdung findet jeden Tag statt. Wir sichern zu, dass durch den Streik keine Patientengefährdung stattfindet, indem wir rechtzeitig ankündigen, wo Betten oder Stationen geschlossen werden müssen. Für alle anderen sichern wir eine Notdienstbesetzung zu. Wir wollten in die Notdienstvereinbarung reinschreiben, wie die schlechteste Besetzung ab einem Stichtag aussieht – nun haben wir die Nachtdienstbesetzung genommen.
Es zeigt sich immer wieder, wie unglaublich niedrig die Besetzung im Alltag ist. Da kommt auch kein Chefarzt oder die Pflegedirektion und beschwert sich. Gefährdungsanzeigen, die geschrieben werden, werden ignoriert und teilweise sogar sanktioniert. Deshalb führen wir doch diesen Kampf: Wir wollen unsere Patientinnen und Patienten nicht mehr gefährden! Diese Notdienstvereinbarung ist übrigens weder von Vivantes noch von der Charité unterschrieben worden.
UZ: Wie müsste die Personalbesetzung aussehen? Wann würdest du nicht mehr von einer Gefährdung der Patientinnen und Patienten sprechen?
Silvia Habekost: Die Teams der Stationen und Bereiche haben intensive Diskussionen geführt und Forderungen für Mindestbesetzungen aufgestellt.
Wir sind doch die Expertinnen und Experten für unsere Arbeit. Von unseren Arbeitgebern wird uns diese Expertise abgesprochen. Bei Vivantes wurde lange nicht anerkannt, dass es eine Belastung und Patientengefährdung gibt. Aber es muss doch klar sein: Wir führen diesen Kampf nicht gegen unsere Arbeitgeber. Wir führen ihn für unsere Patientinnen und Patienten und auch für uns, weil wir selber gesund bleiben wollen und diese alltägliche Gefährdung und Belastung nicht mehr aushalten.
Und natürlich ist es auch ein Kampf für ein Gesundheitssystem, das wieder den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht den Profit. Wir brauchen eine Finanzierung von Krankenhäusern, die bedarfsgerecht ist und – vor allem – die Personalkosten voll refinanziert. Personal ist das wichtigste Gut im Krankenhaus – das hat die Politik aus den Augen verloren. Diesen Kampf sollten unsere Arbeitgeber mit uns gemeinsam führen. Insbesondere in öffentlichen Unternehmen, die keine Profite erwirtschaften müssen, aber genau den gleichen Abrechnungs- und Finanzierungsregeln unterliegen.
UZ: Und was braucht es, um die Beschäftigten zu entlasten?
Silvia Habekost: Zu den Forderungen gehören die sogenannten Belastungspunkte, die entstehen, wenn die Mindestbesetzung unterschritten wird. Diese Punkte werden mit Freizeit ausgeglichen. Das heißt, es wird Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt, keine Belastungen entstehen zu lassen.
Eine weitere Forderung betrifft die Ausbildungsbedingungen. Ohne Azubis hat das Gesundheitssystem keine Zukunft – haben wir keine Zukunft. Es muss eine garantierte Zeit für Praxisanleitung geben und Azubis dürfen nicht auf den Stellenschlüssel und die Schichtbesetzung angerechnet werden. Und auch für Azubis entsteht Belastung, wenn die Mindestbesetzung nicht eingehalten wird. Auch für sie muss es einen Ausgleich geben.
UZ: Die Geschäftsführungen von Charité und Vivantes argumentieren, dass zusätzliches Personal „am Markt“ gar nicht zu haben ist …
Silvia Habekost: Wenn wir keine guten Abschlüsse bekommen, wird das den Personalmangel noch verschärfen. Das gilt auch, wenn Vivantes und Charité unterschiedliche Standards abschließen – das kann ich nur nochmal wiederholen. Es findet eh schon eine Abstimmung mit Füßen statt.
Die Ursache für den Personalmangel liegt in erster Linie in den Arbeitsbedingungen. Das haben bereits Studien bestätigt. Das heißt, wenn sich diese Bedingungen glaubhaft verbessern, wird auch wieder Personal „am Markt“ zur Verfügung stehen. Das bestätigen uns die Kolleginnen und Kollegen aus den Kliniken, wo Entlastungsverträge abgeschlossen wurden – wie zum Beispiel in Mainz und Jena.
UZ: Du hast eingangs betont, dass die Beschäftigten der Charité, bei Vivantes und den Vivantes-Tochterunternehmen einen gemeinsamen Kampf führen. Was zeichnet diesen gemeinsamen Kampf aus?
Silvia Habekost: Es ist toll, dass wir alle gemeinsam im Streik sind, aber wir sind noch nicht am Ziel. Ich kann diese Frage aktuell noch nicht beantworten. Es muss uns gelingen, niemanden zurückzulassen.
Und bei beiden Auseinandersetzungen, bei Vivantes und den Töchtern, wendet unser Arbeitgeber „Union Busting“-Methoden an. Es gab vier einstweilige Verfügungen gegen die Streiks. Insbesondere Kolleginnen und Kollegen in den Tochterunternehmen werden massiv mit Lügen und sogar mit Kündigungen unter Druck gesetzt. Auch in der Pflege finden Personalgespräche statt, die einschüchtern sollen. Das hat in öffentlichen Unternehmen nichts zu suchen und sollte vom Gesellschafter – also dem Land Berlin – sanktioniert werden!