In der Welt ist die Art von Kriegen, die ein Ausdruck der „in stetem Gegensatz“ stehenden Klassen ist, seit 1990 immer weiter zurückgegangen. Manche der Befreiungsbewegungen waren nach Auslaufen einer materiellen und logistischen Unterstützung aus den sozialistischen Ländern nicht mehr in der Lage, den Kampf gegen die Verhältnisse fortzuführen. Andere wollten es nicht mehr, weil ihnen die ideologische Grundlage verloren gegangen war.
Inzwischen dominieren religiös verbrämte, nach genauerer Analyse aber in den meisten Fällen ganz schlicht um Rohstoffe, Einfluss und Handelswege geführte Kriege imperialistischer Mächte die Weltlage. Das religiöse Moment macht es heute schwieriger Solidarität auszudrücken und zu organisieren als in den Zeiten der scheinbar einfachen Antworten.
In Kolumbien findet seit über sechzig Jahren einer der letzten klassischen Klassenkriege statt. Dass dort im Gegensatz zu den Befreiungsbewegungen in Zentralamerika nach 1990 die Auseinandersetzung nicht endete, sondern sogar noch an Schärfe zunehmen konnte, hat mehrere Gründe: erstens die Unversöhnlichkeit der kolumbianischen Oberschichten, die immer wieder zu allen Mitteln des schmutzigen Krieges gegriffen haben und selbst nach Friedensvereinbarungen den dann unbewaffneten Gegner massakrierte; zweitens die Unabhängigkeit der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) von ausländischer Hilfe; drittens die akribische Arbeit des bedeutendsten Guerillastrategen Amerikas, des FARC-Kommandanten Manuel Marulanda, der bis zu seinem natürlichen Tod 2008 aus einer Truppe von drei Dutzend Bauern in vierundvierzig Jahren die schlagkräftigste Aufständischenarmee in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts machte.
Dieser Krieg ist heute für keine der Seiten zu gewinnen, und der Triumph der FARC besteht darin, den mit Milliarden US-Dollar ausgerüsteten Gegner zu Verhandlungen auf Augenhöhe gezwungen zu haben. Die Signale von den seit über drei Jahren in Havanna stattfindenden Gesprächen zur Beilegung des Konflikts werden dabei fast wöchentlich besser. Die Verhandlungspartner – die kolumbianische Oberschicht, vertreten durch die Regierung des Landes, und die FARC – wollen in der zweiten Märzhälfte ein unterschriftsreifes Dokument vorlegen.
Vergangenen Sonntag traf sich auch Raúl Castro mit den Hauptverhandlungsführern. Die Anwesenheit des kubanischen Staatschefs zeigt, dass die kubanischen Gastgeber ebenfalls mit einem baldigen Abschluss der Gespräche rechnen. Der Optimismus in aller Welt, vor allem aber im Andenstaat selbst, gründet sich vor allem auf die Vereinbarung, die im Dezember zu Fragen der Opfer, der Nichtwiederholbarkeit der Auseinandersetzungen, die in 67 Jahren über 200 000 Menschen das Leben gekostet haben, und der Einrichtung einer Wahrheitskommission erreicht wurde. Nachdem damit nun vier der sechs Punkte der Agenda mit Vereinbarungen abgeschlossen wurden, stehen jetzt noch die Abschnitte 3 und 6 aus. In Punkt 3 geht es um die Beendigung des Konflikts, mitsamt Fragen der Niederlegung der Waffen und die Wiedereingliederung der FARC-Kämpferinnen und -kämpfer in das zivile Leben. Im letzten Punkt wird dann noch die schwierige, weil äußerst kontrovers diskutierte Frage der Inkraftsetzung dieses historischen Abkommens anstehen: Während die Regierung meint, es könne im Parlament durchgewunken werden, verteidigen die FARC die Idee eines Referendums, besser noch die Einsetzung einer verfassunggebenden Versammlung. In einem Interview mit „Voz“, der Zeitung der Kolumbianischen Kommunistischen Partei, betonte FARC-Oberkommandierender Timoleón Jiménez vorige Woche die Notwendigkeit des Verfassungsrangs einer solchen Vereinbarung, denn „es kann ja sein, dass morgen eine andere Regierung des Landes sagt, dass ihr das Abkommen wegen dieser oder jener Begründung nicht passt“ und es dann nicht anerkennt oder nach Gutdünken verändert. „Was wir in Havanna nahezu geschafft haben, ist die erste gemeinsam erarbeitete Friedensvereinbarung unserer Geschichte, ohne Sieger und Besiegte, mit dem noblen Vorhaben ein neues Land aufzubauen, humaner, gerechter, gleicher und demokratisch.“
Sollte es zu einem Friedensschluss kommen, so soll er nach dem Willen beider Seiten von den Vereinten Nationen und der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) überwacht werden. Die Bedingungen wären günstig wie nie, hat sich die Region in den letzten Jahren doch politisch stabilisiert und demokratisiert. Die wirtschaftliche Demokratisierung – um die es allen Aufständischen immer geht – ist dagegen nach wie vor nur auf Kuba gegeben.