Am vergangenen Montag stellte der nordrhein-westfälische Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) den „Verfassungsschutzbericht 2015“ in Düsseldorf vor. Der SPD-Politiker warnte dabei vor einem weiteren Anstieg rechtsextremer Gewalt. Immer häufiger würden Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte jedoch durch Täter verübt, „die zuvor nicht in der organisierten rechtsextremistischen Szene aufgefallen sind“. „Es gibt einen neuen Tätertyp, der sich schnell radikalisiert und die Schwelle von der Ideologie zum Anschlag ohne Zwischenschritte überspringt“, so der Innenminister.
Ebenso wie im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, welcher der Öffentlichkeit eine Woche zuvor vorgestellt wurde, finden sich auch im NRW-Bericht keine wirklich neuen Erkenntnisse. Vielmehr kommt die Behörde aufgrund der von ihr betriebenen Gleichsetzung von Nazis mit ihren entschiedensten Gegnern offensichtlich mittlerweile selbst durcheinander. So wird das antifaschistische Bündnis „Mönchengladbach stellt sich quer“ im neuen VS-Bericht für 2015 als Ableger der bundesweiten, rassistischen „Pegida“-Bewegung dargestellt. „Damit diffamieren sie unter anderem die örtlichen ‚Jungsozialisten in der SPD‘, die in dem Bündnis aktiv sind“, warf Jasper Prigge, innenpolitischer Sprecher der NRW-Linkspartei, dem Innenminister daraufhin vor. „Diese Verwechslung von ‚rechts‘ und ‚links‘ ist keineswegs nur ein redaktionelles Versehen, sondern Folge angewandter Totalitarismustheorie“, so Prigge weiter. Für Jäger seien Antifaschisten, die Nazi-Aufmärsche verhindern wollen, genauso gefährlich wie Neonazis, die Brandanschläge auf Flüchtlingswohnheime verübten. Das gehe schon aus Jägers Einleitung in den Bericht hervor, in der er von einer Zunahme von Straftaten im „Rechts- wie im Linksextremismus“ schwadroniert. „Dass gerade der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen die diversen „GiDa“-Aufmärsche in NRW diese letztlich gestoppt hat, dazu äußert sich der Bericht nicht“, kritisierte Prigge weiter.
Auch der Erkenntniswert des VS-Berichtes auf Bundesebene hält sich deutlich in Grenzen. So findet sich in dem Bericht kaum eine Information, die nicht bereits bekannt gewesen wäre. Dafür jedoch gleichlautende Textfragmente, Zuschreibungen und Allgemeinplätze aus früheren Berichten.
Für 2015 haben die Schlapphüte ansonsten auch auf Bundesebene einen „Zulauf“ für alle „extremistische Szenen – ganz gleich welcher Ausrichtung“ ausgemacht, wie es Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bei der Vorstellung des Berichts formulierte. Dieser ginge zugleich einher mit „einem Anstieg der Gewaltbereitschaft und Brutalität“. So wurden 2015 allein 894 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte verübt, womit sich die Zahl im Vergleich zu 2014 verfünffachte. Insgesamt 21.933 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund hat die Behörde für 2015 erfasst. 1408 davon seien Gewaltdelikte.
Verstärkt geraten auch Flüchtlingsunterkünfte ins Visier von Neonazis und Rassisten. Wurden 2014 diesbezüglich 170 Straftaten verübt, 25 davon Gewalttaten, waren es 2015 schon 894 Straftaten, darunter 153 Gewaltdelikte. Allein die Anzahl der Brandanschläge stieg von fünf (2014) auf 75 im letzten Jahr an. Die Dunkelziffern im Bereich der neofaschistischen Gewalt dürften erfahrungsgemäß höher liegen.
Trotzdem setzt der „Verfassungsschutz“ seine Ignoranz bezüglich des Phänomenbereichs des Rassismus weiterhin fort. In einer tief polarisierten Gesellschaft stehen sich Befürworter und Gegner einer offenen Asylpolitik scheinbar kompromisslos gegenüber. Kritik am „Verfassungsschutz“ kam unterdessen von Ulla Jelpke, der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. „Der Kampf gegen Nazis muss wieder oberste Priorität erhalten. Denn von ihnen geht eindeutig die größte Gefahr im Inland aus“, stellte sie klar. Alarmierend sei vor allem, dass die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen steige. „Immer häufiger werden Flüchtlinge oder politische Gegner direkt angegriffen und Brandsätze verwendet. Es ist nach allem Anschein nur eine Frage der Zeit, bis Nazis in Deutschland wieder Menschen töten“, warnte die Innenpolitikerin.