Frankreich: Ausnahmezustand richtet sich gegen Aktivisten und Gewerkschafter

Ohne Feigenblatt

Von Georges Hallermayer

Christiane Taubira gehörte zu denen, die versuchten, den Anschein zu erwecken, in Paris gäbe es eine linke Regierung. Bis in die vergangene Woche war sie französische Justizministerin. Nun ist sie zurückgetreten – die von dem „sozialistischen“ Präsidenten François Hollande geplante Verfassungsänderung wollte sie nicht mittragen. Hollande will damit unter anderem die Möglichkeit schaffen, Terroristen unter bestimmten Bedingungen die französische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Er löste damit eine heftige Debatte aus – die Erinnerung an die ähnliche Praxis während des mit Hitler kollaborierenden Vichy-Regimes ist noch lebendig.

Diese neue Regelung gehört zu den Maßnahmen, die Hollande unter dem Eindruck des barbarischen Blutbades der dschihadistischen Killer vom 13. November verkündete. Eine Woche nach den Anschlägen stimmte die Nationalversammlung praktisch geschlossen dafür, den Ausnahmezustand um drei Monate – also bis Ende Februar – zu verlängern. Die „Union Sacrée“ kennt wie unter Kaiser Wilhelm „keine Parteien mehr“. Bei einer Enthaltung (PS) stimmten nur drei Sozialisten und drei Ökologisten dagegen. Die Kommunisten stimmten zu, was wiederum heftige Kritik innerhalb der Partei und vor allem außerhalb hervorrief. Hollande plant, den Notstand um weitere drei Monate, also bis Ende Mai, zu verlängern.

Die erste Folge: Die Regierung verbot die beiden groß organisierten Demonstrationen der Monate November und Dezember: Gegen die Austeritätspolitik der Regierung und anlässlich der Klimakonferenz.

Die letzten Wochen zeigen, was dieser innere Krieg „gegen den Terror“ gebracht hat: Ein Klima der Angst, Repressionen gegen Linke – und sonst sehr wenig. Die Nachrichtensendung „20 Minutes“ hat offizielle Angaben darüber zusammengetragen, was der angebliche Kampf gegen Terror gebracht hat: Zwischen dem 14. November und dem 7. Januar durchsuchte die Polizei – in Zusammenarbeit mit dem Militär – 3 021 Häuser und Wohnungen. Schwerpunkt waren die Region Paris und im Süden um Marseille und die Provence. Dabei wurden 500 Waffen entdeckt (aber keine Depots), aber insgesamt nur 464 Gesetzesverstöße festgestellt – also nur 15 Prozent der auch nächtlichen Hausdurchsuchungen ergaben einen Straftatbestand. Aber nur 25 von diesen 464 Straftatbeständen, das sind nur 5 Prozent, standen im terroristischen Zusammenhang, von denen wiederum nur drei zu einer Vorermittlung und einer zum gerichtlichen Verfahren führten. Aber trotzdem wurden 366 Personen vorübergehend festgenommen und 316 eingesperrt. Aber nur ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet.

381 Hausarreste wurden ausgesprochen mit der Verpflichtung, sich täglich beim Kommissariat zu melden. Drei Maßnahmen wurden zurückgenommen, 53 Einsprüche laufen. Vier Veranstaltungssäle in Paris wurden vorübergehend geschlossen. Der Sender France 24 meldete am 25. Januar, dass der Verfassungsgerichtshof den ersten Hausarrest aufgehoben habe. Der Richterverband „Syndicat de la magistrature“ hatte Recht mit seiner Warnung: „Die einsetzende blinde und unkontrollierte Repression zersplittert unnütz die Kräfte der Polizei, die besser eingesetzt würden zur Aufdeckung und Verhütung bekannter krimineller Vorhaben.“ Und: „Der Kampf gegen den Terrorismus wird verfälscht: Die Demonstrationsverbote, die Hausdurchsuchungen und -arreste zielen auf Aktivisten.“ Im Sprachgebrauch der Mainstream-Presse sind die Aktiven der militanten Umweltbewegung bereits zu „grünen Dschihadisten“ geworden. Sie stehen im Fokus, wenn Premierminister Manuel Valls davon spricht, „die staatliche Ordnung wiederherzustellen“.

Genauso wie die Arbeiterbewegung. Die Zeit des verordneten Notstandes ist auch die Zeit, in der Ministerien Pläne schmieden, um das kollektive Arbeitsrecht weiter auszuhöhlen. Und es ist die Zeit, in der ein Gericht in Amiens, Nordfrankreich, acht Kollegen zu Gefängnis verurteilt hat – zwei Jahre, Bewährung gibt es frühestens nach neun Monaten – weil sie 2014 am „Bossnapping“ im Goodyear-Werk Amiens-Nord beteiligt waren. „Zum ersten Mal“, heißt es in einer Petition der zuständigen CGT-Gliederung, „seit einem halben Jahrhundert hat eine Regierung gefordert, Gewerkschafter mit Gefängnis zu bestrafen, weil sie sich an Aktionen gegen die Schließung ihrer Fabrik beteiligt haben.“

Die Gewerkschaft CGT hat es auf den Punkt gebracht: „Die Regierung spielt mit Gefühlen und der Angst und hofft, damit den Notstand in die Verfassung aufzunehmen, was der Polizei, den Geheimdiensten, der Verwaltung auf Kosten der Rechtsprechung mehr Macht auszuüben erlaubt. Die unklaren Bestimmungen der Definition des Notstands lassen aber das Schlimmste befürchten gegen die Beschäftigten und die Aktivisten der Gewerkschaften.“

Von Terrorangst und Repressionen lassen sich trotzdem nicht alle einschüchtern oder ablenken. Die Petition für die Goodyear-Kollegen haben bereits 138 000 Menschen unterschrieben, Allein am 19. Januar fanden in Frankreich 80 Streiks und Gewerkschaftsaktionen statt. Die Nationale Föderation der Chemieindustrie der CGT hat für Donnerstag, den 4. Februar, landesweit zur Arbeitsniederlegung und zu Demonstrationen aufgerufen. Und am vergangenen Samstag forderten über 150 000 Demonstranten in rund 70 französischen Städten – in Paris nach Veranstalterangaben 20 000 –, von der Regierung den Ausnahmezustand aufzuheben. Auch die Kommunisten beteiligten sich an der Demonstration.

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"Ohne Feigenblatt", UZ vom 5. Februar 2016



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