Tarifverhandlungen im Einzelhandel

Ohne Druck kein Moos

Von Herbert Schedlbauer

Für rund drei Millionen Beschäftigte des nordrhein-westfälischen Einzelhandels stehen neue Tarifverhandlungen an. In der ersten Verhandlungsrunde am 4. Mai haben die Unternehmer ein Angebot unterbreitet, das von der Großen Tarifkommission ver.di NRW als unzureichend zurückgewiesen wurde.

Neben einer Laufzeit von 24 Monaten wollen die Handelsbosse zwei Nullmonate und ab Juli 2017 nur 1,5 Prozent und im nächsten Jahr ab Mai ein Prozent mehr zahlen. Das wären 23 Cent mehr Stundenlohn. Die Tarifverhandlungen werden am 1. Juni 2017 in Recklinghausen fortgesetzt.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) führt einen erneuten Angriff auf die bestehenden Tarifverträge. Konnte 2015 noch eine „Umstrukturierung“ des Tarifvertrages von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) verhindert werden, ist es dem HDE gelungen, dies wieder zu fordern. Durchgesetzt werden soll ein „innovativen Tarifvertrag“. Was darunter zu verstehen ist, haben andere Branchen und DGB-Einzelgewerkschaften bereits erfahren. Dabei geht es um grundlegende Veränderung der Eingruppierungen. Damit die Löhne auf breiter Ebene im Einzelhandel billig bleiben, soll der neue Tarifvertrag „zeitnah und aktuell“ umgebaut werden. Mit sogenannten „anforderungsbezogenen Eingruppierungen“ wurde Arbeit nicht nur im Handel noch billiger.

Neu in dieser Auseinandersetzung ist, dass ver.di anscheinend bereit ist, für eine Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen auf die Forderungen des HDE einzugehen. Hintergrund ist die teilweise dramatische Auswirkung der Tarifflucht in der Branche. Wer ohne ver.di-Einzelhandelstarif arbeitet, verdient oft nach dem jetzt noch gültigen Tarifvertrag bis zu 6 500 Euro im Jahr weniger.

Erstmals ist es ver.di NRW im Einzelhandel gelungen, einen einheitlichen Festbetrag aufzustellen. „Einen Euro mehr pro Stunde“ lautet die Forderung. Marion Bartusch, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende beim Kaufhof Wehrhahn in Düsseldorf und Mitglied des Gesamtbetriebsrates des Handelsriesen, sieht hierin einen großen Erfolg: „Seit Jahren diskutieren wir einen Festbetrag im ver.di Fachbereich Handel. 70 Prozent aller Beschäftigten sind Frauen. Die verdienen so wenig, dass selbst nach 45 Berufsjahren sie noch unter die Armutsgrenze fallen“. Bartusch, ebenfalls Mitglied der ver.di-Tarifkommission Einzelhandel in NRW, wünscht sich, dass auch andere Landesverbände der Gewerkschaft eine Festbetragsforderung in Zukunft aufstellen. Vor allem „müssen wir wieder zu einer einheitlichen Laufzeit und gemeinsamen Streiks bundesweit kommen. Arbeitskämpfe können so viel wirksamer geführt und bessere Tarifergebnisse erreicht werden“ erklärt die Betriebsrätin gegenüber der UZ.

Neben einem Euro mehr Geld pro Stunde fordert ver.di in der diesjährigen Tarifrunde für die Auszubildenden im nordrhein-westfälischen Einzelhandel eine Erhöhung der Vergütungen von 100 Euro. Die Laufzeit des Tarifvertrages soll für alle 12 Monate betragen. Die Gewerkschaft will die Tarifverträge wieder für „Allgemeinverbindlich“ erklären lassen. Das bedeutet, dass sie für alle Unternehmen und deren Beschäftigten der Branche verbindlich gelten würden.

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"Ohne Druck kein Moos", UZ vom 19. Mai 2017



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