„Swimmingpool am Golan“: Esther Zimmering auf den Spuren ihrer jüdischen Familie

Ohne den Glauben der Väter

Von Erhard Scherner (mit C. Fischer)

Swimmingpool am Golan (88 Min. Regie: Esther Zimmering, Drehbuch: E. Zimmering, Ruth Olshan, Friederike Anders. Eine Zischlermann Filmproduktion, D 2018).

Neun Jahre hat die 1977 in Potsdam geborene, aus vielen Fernsehfilmen bekannte Berlinerin Esther Zimmering für diese Dokumentation gebraucht, die mit der Unterstützung etlicher Freunde und Helfer entstand. Es ist ein guter Film geworden. Eine junge Frau sucht ihre Familie. Die Allermeisten sind erschlagen. Einige der Jüngsten sind im Sommer 1939 durch viel Glück mit einem Kindertransport nach England gelangt – viele sind dort geblieben. Haben, wenn sie Kommunisten waren, die Freie Deutsche Jugend gegründet. Wer geht und kommt nicht wieder, wie steht es mit der jungen Generation, wirft der Film als Fragen auf.

In Israel findet Esther einen Zweig der Verschollenen, mit denen die Familie, DDR-verbunden, keinen Kontakt haben soll und gelegentlich trotzdem hatte. Sie sind die Tür zu jenem Land, das Esther lieben lernt. Manchmal kommt sie mit ihren Fragen zu spät, die alte Tante hat Alzheimer. Teenager Esther will einen hübschen Israel-Soldaten zum Manne haben. In diesem wunderbaren Land.

Warum kommen die emigrierten Juden nicht nach Deutschland zurück? Bei den Jungen sieht es schon anders aus, einen Cousin führt später Esther durch Berlin.

Die Rückkehrer leisten Beachtliches für die DDR, bauen das Land auf, sind im diplomatischen Dienst in der Schweiz (Esthers Großvater Josef Zimmering), sind hochdotierte Dolmetscher (ihre Tante Monika) und sonstwo. Ihr Vater, Arzt bei der Militäraufklärung der NVA, darf seine Arbeitsstelle der Familie nicht nennen, obwohl er mit den Kindern öfter dran vorbeifährt.

Der Dichter Max Zimmering, Es­thers Großonkel, und seine Frau Zora, die in Dresden lebten, tauchen in dem Film nicht auf. Das sei ein anderer Stoff.

Esther entdeckt also, nach der „Wende“ (bei der sie, im Unterschied zu den Klassenkameraden, noch immer nicht nach Westberlin fahren darf) ihre Verwandten in Israel für sich, die in einem Kibbuz an den Golanhöhen leben. „Das Privateigentum war abgeschafft, und deshalb hatten alle zusammen einen großen Pool.“ Die Kibbuze sind mit dem Untergang der sozialistischen Staaten implodiert. Manchmal existiert noch der Name. Aber sie erfährt, das Siedlungsland, das schöne, ist den Arabern weggenommen worden. Sie will nun keinen israelischen Soldaten mehr.

Im Film sehen wir sie als glücklichen Jungpionier, als solchen habe ich sie mit Tante Zora kennengelernt, ein hübsches, munteres Mädchen.) Als freiwillige Betreuerin von Flüchtlingen zeigt sie sich 2013 in Neukölln. Einen von denen heiratet sie, hat inzwischen zwei Kinder. Das wird ein nächstes Filmprojekt: die Reise nach Afrika zur dortigen Familie.

Alles ist viel vorsichtiger, feiner erzählt, ein jüdisches Schicksal ohne den Glauben der Väter. Der andauernde Dialog mit der Mutter und vor allem mit dem Vater gehört zum Besten des Films. Ein älterer Israeli, nach der DDR befragt, weiß nichts dazu zu sagen. Der Film regt zum Nachdenken über die DDR und Israel an, ohne Antworten aufzudrängen.

Melodien klingen auf oder werden gesummt, oft nur ein kurzes Stück („Wacht auf, Verdammte dieser Erde“, „Auferstanden aus Ruinen“, das jiddische Kampflied von Hirsch Glik: „Sag nie, du gehst den letzten Weg“). Und verklingen wieder.


Zum Dokumentarfilm „Swimmingpool am Golan“

Max, Siegfried (Fred) und Josef Zimmering waren Kinder des jüdischen Uhrmachers Adolf Zimmering und seiner Frau Cejta, die aus Horodenka (Galizien) stammten. Cousins und Cousinen der drei Zimmering-Brüder waren die antifaschistischen Widerstandskämpfer Hans und Max Dankner, die Grafikerin und Malerin Lea Grundig und der kommunistische Funktionär Bruno Goldhammer. Seit 1915 lebte die Familie in Dresden. Die Brüder gehörten zunächst dem Wanderbund Blau-Weiß und dem Pfadfinderbund Kadimah an und traten Ende der 20er Jahre dem Kommunistischen Jugendverband bzw. der KPD bei. Max Zimmering gehörte dem Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller an. Die Brüder beteiligten sich 1933 am antifaschistischen Widerstand in Dresden und mussten wegen drohender Verhaftung fliehen. Sie gelangten zuerst nach Frankreich bzw. Palästina und in die CSR sowie zuletzt nach Großbritannien. Dort wurden sie nach Kriegsbeginn als „feindliche Ausländer“ interniert und nach Australien bzw. Kanada deportiert. Sie engagierten sich aktiv bei der Gründung der „Freien Deutschen Jugend“ und im Freien Deutschen Kulturbund. Nach dem Krieg kehrten alle drei Brüder nach Deutschland zurück und lebten dann in der DDR.

Zusammengestellt von Cristina Fischer



Unser Autor, der Lyriker und Erzähler Erhard Scherner, wurde am 12. Januar 90 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch!

In Berlin als Kind einfacher Leute aufgewachsen, musste er als Jugendlicher den Zweiten Weltkrieg erleben und wurde zuletzt noch zum „Volkssturm“ gezerrt. Seitdem ist er überzeugter Pazifist.

Nach 1945 wurde er Neulehrer, studierte Germanistik und promovierte über den kommunistischen Dichter Kurt Barthel (KuBa). Seine Ehe mit einer Sinologin, Prof. Helga Scherner, führte ihn in den 50er Jahren erstmals nach China.

In die DDR zurückgekehrt, versuchte er sich als Schlosser, gelangte aber bald in den Führungszirkel der Kulturpolitik der 60er Jahre. Danach war er einige Zeit stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ (NDL), betreute dann den literarischen Nachlass von Alfred Kurella, dessen Mitarbeiter er war, als dieser der Kulturkommission beim Politbüro vorstand.

Er ist Vater dreier erwachsener Kinder und lebt in Potsdam. Vor einigen Jahren schrieb er in einem Leserbrief: „Über das Amt des Dichters bei Gefahr hat Wolfgang Borchert profund nachgedacht, aber auch Goethe war überzeugt: ‚Es gibt Steine des Anstoßes, über die ein jeder Wanderer stolpern muss. Der Poet aber deutet auf die Stelle hin.‘“ CF

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"Ohne den Glauben der Väter", UZ vom 18. Januar 2019



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