Es ist alltäglich: das Gefühl, in den Krankenhäusern nicht die Pflege und Betreuung zu erhalten, die man erwartet. Da dauert es, bis auf das Signal am Bett reagiert wird, die Reinigung läuft im Minutentakt und auch bei der Tablettenausgabe hofft man, dass es die richtigen Medikamente sind. Das Pflegepersonal wirkt mehr als gestresst und erschöpft, versucht dennoch ruhig und nett zu sein. Ja, das Gefühl verstärkt sich, dass etwas nicht stimmt. Und dieses Gefühl täuscht nicht.
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat 2013 festgestellt, dass in den Krankenhäusern bundesweit rund 162 000 Vollzeitstellen fehlen. Und in der Nacht ist der Zustand noch katastrophaler. Mit dem Nachtdienstcheck enthüllte ver.di 2015, dass auf mehr als der Hälfte der Stationen eine Pflegekraft durchschnittlich 25 Patientinnen versorgen musste. Das hat Einfluss auf die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen. Mehr als 75 Prozent der Pflegekräfte hatten keine ungestörte Pause.
Ein anderer Gradmesser für den Pflegenotstand ist die Anzahl der Überstunden. Hierzu hat ver.di die Situation im letzten Jahr untersucht: Die Beschäftigten in den Krankenhäusern schieben 35,7 Millionen Überstunden vor sich her, also 32,5 Überstunden pro Person. Ursache ist ein Personalmangel, der dazu führt, dass zur Aufrechterhaltung der Versorgung im Durchschnitt vier Überstunden pro Beschäftigten schon im Voraus in die Dienstpläne eingestellt werden. Hinzu kommen zwölf unvorhersehbare Überstunden pro Beschäftigten und Monat. Anders ausgedrückt: Die Pflegekräfte müssen 10 Prozent ihrer Arbeitszeit Monat für Monat zu einem nicht planbaren Zeitpunkt erbringen. Ohne das zusätzliche Engagement des Pflegepersonals würde das System Krankenhaus nicht mehr funktionieren. Um allein die Überstunden dauerhaft zu vermeiden, sind rund 18 000 zusätzliche Stellen in den Krankenhäusern notwendig.
Für diese Situation sind zwei Ursachen maßgeblich. Zum einen die Einführung sogenannter Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups), die Grundlage für die Abrechnung mit den jeweiligen Kostenträgern sind – letztlich ein System für eine fallbasierte pauschalierte Abrechnung. Zum Beispiel wird ein einfacher Beinbruch mit einer bestimmten Pauschale abgerechnet. Darin enthalten ist auch eine bestimmte Anzahl von Tagen im Krankenhaus. Wird die Anzahl der Tage unterschritten, verdient das Krankenhaus, wird die Anzahl überschritten, macht es Verluste.
Der Mensch wird zur Ware, beim Personal wird eingespart und die frühzeitigen Patienten-Entlassungen nehmen zu. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass immer mehr Patientinnen von immer weniger Pflegekräften betreut werden.
Die andere Ursache liegt in der Privatisierung von Krankenhäusern – im Verkauf von staatlichen Krankenhäuser an Krankenhauskonzerne und Ausgliederung von z. B. Küche oder Reinigung an Fremdfirmen oder auch intern an Tochterunternehmen. Gab es 1991 noch über 1 100 Krankenhäuser in öffentlicher Hand, so waren es 2014 nur noch knapp 590. Privatwirtschaftlich betriebene Unternehmen sind aber gezwungen Gewinn zu machen. Und das tun sie im Wesentlichen durch Senkung der Lohnkosten und durch Tarifflucht.
Um die Angst vor dem Krankenhaus zu verlieren, um den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu rücken und gleichzeitig die Situation der dort Beschäftigten zu verbessern, sind drei Schritte notwendig:
Zum Ersten muss der Pflegeberuf deutlich aufgewertet werden. Es kann nicht richtig sein, dass die Arbeit mit Menschen weniger Wert ist als das Zusammenbauen eines Autos.
Zum Zweiten muss wesentlich mehr Personal eingestellt werden. Das sichert eine menschengerechte Pflege und eine Entlastung der Beschäftigten gleichermaßen.
Und zum Dritten muss eine Ausbildungsverpflichtung her. Denn der Mangel an Pflegekräften liegt doch darin begründet, dass zu wenig ausgebildet wurde.
Es ist gut, wenn die Beschäftigten anfangen, sich mit ver.di gegen diesen Pflegenotstand zu wehren. Und es ist auch gut, wenn sie dabei nicht allein gelassen werden. So hat sich in Hamburg ein gesellschaftliches Bündnis für mehr Personal gegründet. Aus meiner Sicht muss beides aktiv unterstützt werden – dann hat man auch weniger Angst, wenn man ins Krankenhaus muss.