Von Dummheit und Magenbitter

Oh no …

24. 12. Weihnachten. Ich drücke dem Straßenmagazin-Verkäufer vom „Bodo“ vorm „Rewe“, wie jedes Jahr, 20,- Euro in die Hand und wünsche bessere Tage. Er fällt, wie jedes Jahr, aus allen Wolken und bedankt sich überschwänglichst. Ich wehre, wie jedes Jahr, unterschwänglichst ab. Es ist jedes Jahr der immer gleiche groteske Tanz. Was aber, wenn sich schon länger eine heimliche Fangruppe gegründet hat, die uns jedes Jahr filmt und ins weltweite Netz stellt? „The strange man and the old bodo-seller. Edition 2020“! Oh no …

25.12. Fußball. Lucien Favre (Dortmund): entlassen. Thomas Tuchel (Paris): entlassen. Manuel Baum (Gelsenkirchen): entlassen. Achim Beierlorzer (Mainz): entlassen. Maurizio Sarri (Turin): entlassen. Jos Luhukay (St. Pauli): entlassen. Fußball an sich: entlassen. Punkt.

26.12. Dummheit. Während ein Teil der Menschheit versucht, möglichst kontaktfrei zu überleben, stürmen circa eine Million Irre Winterberg. Zum Skifahren. Dicht an dicht an dicht. Und selber dicht sicher auch. Ich schätze, das sind dann dieselben, die im März rumpöbeln, dass sie nicht ins Fußballstadion dürfen, weil „immer noch dieser Scheiß Lockdown“. Und der Rest der Menschen so: Oh no …

27. 12. Arbeit. Wir bauen den UZ-Shop um. Alles von A nach B, dann von C nach D, um Platz für E auf A zu haben. Wer früher mal Tetris gespielt hat, ist klar im Vorteil. Habe ich leider nie. Und so wandern 1.753 Marx‘ und 1.577 Lenins in Bücherform, dazu 666 Hoodies, T-Shirts, Fahnen und Broschüren und circa 23.921 CDs im Kreis. Mehrfach. Und der Rücken so: Oh no …

28. 12. Politik. Jens Spahn ist der beliebteste Politiker Deutschlands. Noch vor der Kanzlerin! Mir fällt mein Frühstück aus dem Gesicht. Ist 8:32 Uhr eine adäquate Uhrzeit für einen Magenbitter? Ich muss googeln.

29. 12. Sport. Der dicke, unfassbar langweilige Gabriel Clemens aus dem Saarland katapultiert Deutschlands Dartszene an die Weltspitze. Erst wirft er den Weltmeister aus dem Rennen, dann trifft er im Achtelfinale auf Krzysztof Ratajski aus Polen. Jener sieht aus und spielt wie eine Mischung aus emotionalem schwarzen Loch meets Flasche Wodka, er verzieht keine Miene. Im letzten „leg“, dem entscheidenden Wurf, verpassen beide gefühlt 50 mal das erlösende Doppelfeld, ein circa 8 mm schmales Band auf der Scheibe. Zum Schluss trifft der Pole und bricht fast zusammen. Und der dicke Clemens so: Oh no …

30. 12. Politik. Söder nennt Schwarz-Grün attraktiv: „Eine Konstellation, die neben Sicherheit auch Inspiration bieten könnte.“ Mich inspiriert mehr der Blick auf die Farbenlehre: Was kommt heraus, wenn man Grün und Schwarz/Hellblau mischt? Hmm, ich würde sagen, Graubraun. Eben.
In den USA stehen mittlerweile 340.000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. „Niemand kann mit uns mithalten“, radebrecht Donald Trump, „Wann immer Amerika herausgefordert wird, sind wir der Situation stets gewachsen.“ Wie halten die Menschen dort drüben das aus? Ein grausamer Clown, der über Leichen wandelt, als Führer der „freien Welt“. Jeder Mensch mit einem IQ über Topflappenniveau müsste doch sagen: Oh no …

31. 12. Silvester. Bin bei Kumpel H. und Sohn L. Raclette futtern, Dart spielen und lauten Punkrock hören. Später auf eine kleine Brücke mit der lieben A., dem neuseeländischen Baumfäller S. und Gartenbro A., meinen Liebsten. Es macht hier „Piff“ und da „Puff“, die, die dürfen, trinken einen Sekt, Silvester beendet. Prima. Auf dem Rückweg trete ich in die Hinterlassenschaft eines Vierbeiners. Dreieinhalb schlaflose Stunden verfolgt mich noch das eingesummte Mantra: „So ist nun mal das Leben, der eine tritt ins Glück, der andere tritt daneben.“ Und denke über 2021 jetzt schon … Oh no.

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"Oh no …", UZ vom 8. Januar 2021



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