Die „Leipziger Krawalle“ und ihre Hintergründe

Offener Straßenterror

Von Genossen der DKP Leipzig

Sibyllinisch könnte man den Ausspruch des Leipziger Oberbürgermeisters Burkhard Jung zu den Ereignissen des 12. Dezember in Leipzig nennen: „Das ist offener Straßenterror.“ Zu seinen Opfern zählt ein bekannter Antifaschist: Der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König. Schon 2011 belohnte Sachsen den Mann Gottes für sein Engagement gegen Nazis in Dresden mit einem Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs, das 2014 für 3 000 Euro eingestellt wurde. Seine erneute Reise in den Freistaat brachte ihm Gewahrsam und einen Schlag ins Gesicht von der Polizei.

Dabei hätten die Behörden dem Treiben selbst Einhalt gebieten können, indem sie die drei geplanten neonazistischen Demonstration nach Connewitz einfach untersagen. Nicht weil der Stadtteil traditionell links geprägt ist und nicht weil am gleichen Tag ein alternativer Weihnachtsmarkt eröffnet wurde, der als Grund für die Einschränkung auf einen Marsch durch die Südvorstadt herhalten musste – sondern weil das GG mit Artikel 139 die Verbreitung faschistischer Gedanken und Parteien verbietet!

Aber welches wohl erwogene Wort hätte Burkhard Jung dann ausgesprochen, um linken Protest als Terrorismus zu diffamieren? Womit ließen sich Gesinnungsverfahren rechtfertigen – wie gegen Tim H., der ebenfalls für die Naziblockaden in Dresden 2011 zu fast zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde? Wie soll man Stadtbewohner an eine allgegenwärtige Präsenz von Polizeikräften gewöhnen – wenn nicht durch ein Possenspiel, das allen Zuschauern vorführt: Der Feind steht links! Alles läuft nach Plan, können sich die Regisseure des 12. Dezembers zuprosten. Denn die Reaktionen der folgenden Tage offenbaren, wem er nutzt. CDU-Stadträte pressten Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal schon ein „Es sieht so aus“ ab, dass sich „die Spirale linksextremer Straftaten stärker drehe“. Dass sich in den Köpfen vieler die Worte „links“ und „Chaoten“ verbinden und am Nachdenken über gesellschaftliche Alternativen hindern, ist – auch für eine Stadt, die klammheimlich zur gleichen Zeit Flüchtlinge abschiebt – geradezu ein Gebot der Stunde. Schon werden Forderungen erhoben, die Polizei mit Gummigeschossen auszustatten. Man mag sich bei dieser Entwicklung nicht grundlos die Frage vieler Teilnehmer stellen, woher die organisierten Randalierer in Leipzig tatsächlich kamen.

Auch wo Zerstörung von Linken ausgeübt wird, bleiben Hintergründe ausgeblendet. Am 7. Januar 2005 wurde Oury Jalloh in einer Dessauer Zelle von Polizisten ermordet, und seitdem suchen Angehörige vergeblich vor deutschen Gerichten Gerechtigkeit. Es erhellt einiges über die Motive für Gewalt auf Leipziger Straßen 2015, dass genau an seinem zehnten Todestag 30 Jugendliche in einer konzertierten Aktion eine Connewitzer Polizeistation angegriffen haben. Die beiden diensthabenden Polizisten kamen mit dem Schrecken davon (anders als z. B. unbewaffnete Demonstranten in Stuttgart 2010), Scheiben und Einrichtungsgegenstände gingen zu Bruch. Damals wie heute lautet das moralische Prinzip: „Menschen sterben und ihr schweigt. Scheiben klirren und ihr schreit.“ Die bürgerliche Mitte, die sich entrüstet, versteht nichts von der Perspektivlosigkeit und Frustration einer Jugend in der Krise und sieht den Beginn politischer Zusammenhänge nur dort, wo Mülltonnen vor ihrer Haustür brennen. Dabei gab es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland nur eine Terrororganisation, die zehn Menschen ermordet hat: Den „nationalsozialistischen Untergrund“. Seine Verstrickung mit Geheimdiensten und Polizei, die wie ein schallender Skandal die aktuelle Prozessgeschichte durchzieht, ist hierzulande den wenigsten bekannt.

Wir machen uns keine Illusionen: Die Aktionen von 2 000 Antifaschisten, die am Samstag gegen den Aufmarsch von 130 Neonazis stattfanden, waren geprägt von Chaos und Wirrnis. Brennende Autoreifen, kaputte Haltestellen und Pflastersteine sind nur die Kehrseite einer politischen Seichte, die auf Sitzblockaden ihren Antifaschismus als Feigenblatt vor die Sünden des bürgerlichen Staates schiebt, dass man Kritik an den Macht- und Klassenverhältnissen dieses Landes kaum wahrnimmt. Eine antifaschistische Demonstration, die zum Sturz der syrischen Regierung aufrief, stellte darin nur eine reife Blüte des Irrsinns dar. Das kommt daher, dass Antifaschismus hier getragen wird von Aktivisten, die mit den sozialen Problemen des Kapitalismus kaum verbunden sind und im ideologischen Stellungskrieg verharren. Dabei haben viele Menschen, die vor Jobcentern um ihr Recht auf Leben streiten oder auf Arbeit dem Los ihrer Klasse fristen, für theoretische Spitzfindigkeiten so wenig Verständnis wie für gewaltsame Ausschreitungen – und sind (auch deshalb) allzu empfänglich für Demagogen, die ihre Lebenswirklichkeiten in falschen Zusammenhängen abbildet.

Ein geistiger Ahne Lothar Königs – Martin Luther King – wusste zu sagen: Unruhen sind die Sprache derer, die nicht gehört werden. Für uns steht fest, dass Gewalt nicht hervorgebracht wird von denen, die aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit falsche Mittel des Widerstandes wählen – unsere Kritik richtet sich gegen einen Staat, der ihnen keine legalen Wege eröffnet, ihre Interessen zu vertreten; einen Staat, der mit rechten Terrororganisationen verwoben ist, antifaschistisches Engagement kriminalisiert und sozialen Protest mit Polizeiknüppeln, Tränengas und Wasserwerfern niederschlägt. Für uns ist Antifaschismus Kern eines kommunistischen Programms. Es in die etablierte Bewegung hineinzutragen, ist eine Herausforderung unserer Zeit. Sie mit den brennenden sozialen, ökonomischen und politischen Interessen der Arbeiterklasse zu verbinden, eine noch größere.

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"Offener Straßenterror", UZ vom 25. Dezember 2015



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