Hunderte Tote auf beiden Seiten gab es schon am ersten Tag. Kämpfer der Hamas, die die Mauer um Gaza an Dutzenden Stellen durchbrochen hatten, griffen israelische Siedlungen an. Ein Hagel von tausenden Raketen und Granaten traf Israel. Die Hamas nahm Soldaten und Zivilisten als Geiseln – Israel nahm die zwei Millionen Einwohner von Gaza: Die Stromversorgung nach Gaza wurde gekappt, der Warentransport unterbrochen, die Stadt von der israelischen Luftwaffe mit schwersten Bomben angegriffen. Die Zivilisten auf beiden Seiten sind die Leidtragenden. Das war der Stand zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ am Dienstag dieser Woche.
Offensichtlich hatten sich in den letzten Jahren die militärischen Fähigkeiten der Hamas und der Hisbollah sowie der anderen palästinensischen Organisationen massiv verstärkt. Die Hamas und die Hisbollah stellten ihr Arsenal im Sommer öffentlich aus, es folgten Raketentests im August und im September eine Begehung der Mauer um Gaza durch Mitglieder des „Gemeinsamen Kommandos“ der verschiedenen bewaffneten Fraktionen. Diese Begehung sollte, wie es in Medienberichten hieß, die Kampfbereitschaft der Verbände prüfen. Schließlich folgte das Manöver „Mächtige Säule“, das zum vierten Mal in ebenso vielen Jahren abgehalten wurde. Das Ergebnis dieser Vorbereitungen entsprach offenbar den Erwartungen des „Gemeinsamen Kommandos“.
Nach Jahren der Vorbereitung und doch völlig überraschend eskalierte der niederschwellige Krieg um Palästina in einer gewaltigen Offensivaktion der Hamas und ihrer Verbündeten. Weit mehr als 200 Palästinenser und 30 Israeli wurden in diesem Jahr bis Oktober in Kämpfen, bei Kundgebungen, in Razzien und durch Überfälle getötet. Am 7. Oktober explodierte diese Zahl. Die Geiselnahmen, die Kämpfe in israelischen Siedlungen waren von einer noch nie dagewesenen Dimension – und Brutalität. Die Besetzung von militärischen Stützpunkten, die Zerstörung von Panzern durch Drohnen – das hatte es noch nie gegeben. Israel hatte sein Militär auf den Schutz der Siedlungen auf der Westbank ausgerichtet, das Umland von Gaza schien unbedeutend.
Die Begründung der Hamas für die Offensive – die erneuten Angriffe und Provokationen von Siedlern auf der Westbank und in Jerusalem unter dem Schutz israelischer Sicherheitskräfte – wurde nur halbherzig vorgetragen. Schließlich sind solche Übergriffe an der Tagesordnung und die Hamas hat wiederholt gewarnt, weitere derartige Übergriffe würden nicht ohne Folgen bleiben. Es war ein offener Angriff auf die Besatzungsmacht.
Das russische Außenministerium betrachtet die aktuelle Eskalation als einen weiteren gefährlichen Schritt in einem Teufelskreis der Gewalt. Die Ursache dafür sieht es in der andauernden Weigerung Israels und seiner Verbündeten, die entsprechenden Resolutionen der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats umzusetzen.
Ähnliche Positionen vertritt das Außenministerium Kubas, das betont, der Sicherheitsrat der UN müsse seinen Verpflichtungen nachkommen und der Straflosigkeit, mit der Israel seine Besatzungspolitik verfolgt, ein Ende setzen.
Die deutsche Außenpolitik steht wie üblich solidarisch an der Seite Israels und seiner Besatzungspolitik. Hilfen für palästinensische Gebiete sollen nach dem Willen deutscher Politiker „auf den Prüfstand“.
Auf der besetzten Westbank wurde unterdessen ein Generalstreik zur Unterstützung Gazas ausgerufen. Die Geschäfte blieben geschlossen. Aber auch Israel hat reagiert: Alle Übergänge zur Westbank wurden geschlossen, Straßensperren errichtet und Zugänge zu Ortschaften gesperrt.
Auch im Norden droht eine weitere Eskalation. In Angriffen wurden fünf Mitglieder der Hisbollah getötet. Die Hisbollah griff ihrerseits zwei israelische Stützpunkte an, ein hochrangiger israelischer Kommandeur wurde getötet. Dabei bleibt die Hisbollah bisher ihrer Position treu: Sie unterstützt die Offensive der Hamas politisch, wird aber selbst militärisch nur zum Schutz libanesischer Interessen tätig.