Sozialabbau, Fremdenfeindlichkeit, Spaltung, Protest und Widerstand

Österreich – ein Jahr Schwarz-Blau

Von Anne Rieger

Seit dem 18. Dezember 2017 verwaltet in Österreich die schwarz-blaue Koalition aus ÖVP und FPÖ die Regierungsgeschäfte für die Herrschenden. Mit der komfortablen Mehrheit von 57,6 Prozent der abgegebenen Stimmen sollen zehn bis zwölf Milliarden Euro Ausgaben gekürzt werden, um für die Herren von Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer, Großkonzernen, Banken und Immobilienbesitz die Steuern und Lohnnebenkosten zu senken. Gleich zu Beginn ihrer Regierung zeigten Bundeskanzler Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Strache (FPÖ), wem sie nehmen, wem sie geben wollen: Als erstes wurde das Beschäftigungsprogramm „Aktion 20.000 für Langzeitarbeitslose über 50“ gestrichen. Der zweite Streich war die Einführung des Familienbonus. Während ein Kind von zwei GeringverdienerInnen gar nichts bekommt, erhält ein Hochverdiener dafür 1 500 Euro Steuernachlass pro Jahr. Raubzug und Spaltung zugleich.

Zentrales Ziel der Regierung im ersten Jahr war aber die Schwächung der organisierten Kraft der Beschäftigten, der Gewerkschaften und der Arbeiterkammer. Die Einführung der 12/60 Stunden Höchstarbeitszeit und die Machtverschiebung in den Sozialversicherungen gehen stringent in diese Richtung.

Mit dem 12-Stunden-Tag werden Rechte von Betriebsräten und Kollektivverträgen umgangen, die Gewerkschaften geschwächt. Der Boss kann die 11. und 12. Stunde von Beschäftigten verlangen, wenn diese „freiwillig“ zustimmen. Vier mal im Jahr kann er Wochenendarbeit verlangen, ein Systembruch bei Sonn- und Feiertagsruhe. Zusätzlich wurden Durchrechnungszeiten verlängert und Ruhezeiten in der Tourismusbranche gekürzt.

In gesetzlichen Krankenkassen wurden die Beschäftigtenvertreter entmachtet. Über die Verwendung der von den Beschäftigten erarbeiteten Beiträge entscheidet nicht mehr die Mehrheit ihrer Interessenvertreter. Mit der eingeführten Parität kann nichts mehr gegen die Stimmen der Unternehmer durchgesetzt werden, bei Nichteinigung entscheidet das Ministerium. Zudem wurden die Zahlungen der Unternehmer für die Unfallversicherung vermindert. Leistungen werden entfallen oder auf von Beschäftigten mitfinanzierte Versicherungen verschoben werden.

Kürzungen bei Lehrlingsentschädigungen im überbetrieblichen Bereich, bei Frauenberatungsstellen und Integrationsmaßnahmen, dem Arbeitsmarktservice und dem im Ausland gezahlten Kindergeld, wo das Preisniveau niedriger ist, sind weitere Beispiele für den Sozialabbau. Der Zugang zur Altersteilzeit wird um zwei Jahre angehoben. Hoteliers dagegen, die den Wahlkampf der ÖVP finanziell unterstützten, zahlen nun weniger Mehrwertsteuer. Die Mieten steigen seit Jahren weit über der offiziellen Inflationsrate. Noch sind die neuen – häufig noch nicht sichtbaren – Leistungskürzungen und Jobvernichtungen nicht spürbar bei den Menschen angekommen. Die Umfragewerte der Regierenden bleiben stabil.

Dabei hilft der umfangreich ausgebaute Apparat der Öffentlichkeitsarbeit, der nicht nur beständig mit politischen Inszenierungen beschäftigt ist, sondern auch beim Sozialabbau den Eindruck vermittelt, als handele es sich lediglich um Gesetze gegen MigrantInnen, was natürlich nicht stimmt. Der Anti-­Migrations-Kurs, mit dem die Koalition die Wahlen gewonnen hatte, wird beibehalten, verschärft und bei jeder Pressekonferenz der Koalition medienwirksam wieder und wieder verkündet. Schritt um Schritt wird Österreich für Flüchtlinge und von Wirtschaft und Regierung unerwünschten Zuwanderer inhumaner. Härtere Asylgesetze und Restriktionen für Muslime dürften überhaupt das „Wunderrezept der schwarz-blauen Regierung sein“, schreibt „Die Zeit“. Verbunden mit der stets wiederkehrenden Forderung nach Schutz der EU-Außengrenzen durch den Kanzler, kann der FPÖ-Verteidigungsminister den Kauf von Militärhubschraubern für 300 Millionen Euro verkünden. Letztere werden passend zum Winterwetter hauptsächlich als Rettungshubschrauber in den Bergen versprochen. Auf den Kauf von Abfangjägern wird die Bevölkerung medial schon mal vorbereitet.

In der Zivilgesellschaft, den NGOs, der Opposition und den Medien entwickelte sich starker Unmut über eine Razzia der Staatsanwaltschaft beim Verfassungsschutz. Gemeinsam mit einer FPÖ geführten Polizeieinheit gegen Straßenkriminalität, die dem FPÖ-Innenminister untersteht, wurden dabei vermutlich Unterlagen über Burschenschafter mitgenommen. Auch die vielen rechtsextremen sogenannten Einzelfällen aus FPÖ-Kreisen beschäftigen Medien und damit die gesellschaftliche Diskussion.

Obwohl das Spaltungs- und Ablenkungskonzept der Regierung aufgeht und der auf Samtpfoten eingeführte Sozialabbau (noch) nicht zu sehr großer Empörung führt, gibt es permanente Abwehrkämpfe. Protest und Widerstand ist da – allerdings mit unzureichender Kraft. Die 100 000 im Juni von der Gewerkschaft nach Wien Mobilisierten waren der große, leider sehr späte, Anfang. Proteste gab es in weiterer Folge gegen die Demontage von Unfall- und Krankenversicherung, stark geprägt von deren Belegschaften, mit kleineren Teil-Abwehrerfolgen. Warnstreiks in der Metallindustrie und bei den Eisenbahnern, Aktionen zu fast allen Tarifverhandlungen folgten. Dadurch konnten zusätzlich zu Lohnerhöhungen zwischen 2,6 bis 4,3 Prozent gewisse Ausgleiche gegen das Höchstarbeitszeitgesetz erreicht werden.

Zehntausende aus der Zivilgesellschaft, NGOs, Antifa-Bündnissen, fortschrittlichen Parteien, der Opposition, Gewerkschaften – Letztere immer noch in der Sozialpartnerschaft gefangen – gingen in Wien zum ersten Jahrestag der Angelobung der Regierung Mitte Dezember auf die Straße. Unter der Losung „Gemeinsam gegen Rechtsruck, Rassismus und Sozialabbau“ beschreiben sie die politische Situation. Regelmäßige Donnerstagsdemos seit Oktober in Wien und nun auch in den meisten Landeshauptstädten mit tausenden TeilnehmerInnen machen Hoffnung. „Mir gibt auch das Kraft, wenn ich sehe, wie viele Menschen jetzt zum Beispiel auf die Straße gehen gegen die Maßnahmen, die die Bundesregierung macht, weil sie einerseits bildungspolitisch rückschrittlich sind und andererseits sozialpolitisch ungerecht. Eigentlich dient diese Politik in erster Linie Banken, Konzernen und Großverdienern, und gegen das muss man ankämpfen“, beschreibt die Fraktionsvorsitzende der KPÖ-Steiermark, Claudia Klimt-Weithaler, die Situation im Neujahrsgespräch im steiermärkischen Fernsehen.

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"Österreich – ein Jahr Schwarz-Blau", UZ vom 11. Januar 2019



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