Das Zauberwort heißt „Vision 2030“. In einem Kraftakt will das saudische Königshaus die Abhängigkeit des Landes vom Öl verringern – Macht, Einfluss und Reichtum sollen erhalten bleiben.
Die staatliche „Saudi Aramco“ ist die größte Erdölfördergesellschaft der Welt und zugleich das teuerste Unternehmen weltweit. Ihr Wert wird je nach Quelle und Interessenlage zwischen 500 Millionen und 2 000 Millionen Dollar geschätzt. Saudi-Arabien, das ist Öl. Ein Viertel der bekannten Ölvorräte liegt in Saudi-Arabien. Je nach Schätzung kommen zwischen 75 und 95 Prozent der Staatseinnahmen aus dem Ölverkauf. Saudi-Arabien ist die Öl-Supermacht.
Was aber, wenn das Öl selbst in die Krise kommt? Überangebot an Öl und gefallene Preise führen zu saudischem Staatsdefizit. Große institutionelle Investoren sind schon länger dabei, ihre Kapitalanlagen stärker auf den Klimawandel auszurichten und deshalb Kapital umzuschichten. Effizienterer Einsatz von Öl und Erdgas, das absehbare Ende der Verbrennungsmotoren als Antrieb der Mobilität ändert den Bedarf an Bodenschätzen. Kupfer und Metalle wie Kobalt werden das neue Öl. Die Öl-Supermacht muss sich umstellen.
Die saudische absolute Monarchie ist ein Irrgarten sich überschneidender oder gegeneinander agierender Machtzentren. Sie stehen unter der Schirmherrschaft verschiedener Prinzen, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Diese Strukturen sind denkbar ungeeignet, sich auf Veränderungen einzustellen. Die Monarchie vertraute auf das Öl und versäumte es, eine produktive Wirtschaft mit diversifizierter Produktion zu schaffen. Neben persönlichen finanziellen und Machtinteressen drehen sich die Konflikte um Stammespolitik, Art und Geschwindigkeit von Reformen und die Rolle der religiösen Institutionen in Staat und Gesellschaft.
2016 stellte der jetzige Kronprinz und Kriegsminister Mohammed bin Salman die „Vision 2030“ vor. Die Abhängigkeit Saudi-Arabiens vom Öl soll beendet werden. Aramco soll privatisiert, ausländische Investitionen sollen ins Land geholt werden. Der Anteil von Exporten, die nicht auf Öl beruhen, soll stark ausgeweitet werden, der Anteil der Ölproduktion am Staatseinkommen von 70 auf 10 Prozent sinken.
Auch Mohammed bin Salman gehört zum Sudairi-Klan, der mächtigsten Familie Saudi-Arabiens und engsten Verbündeten der USA. Um deutlich zu machen, dass er die Macht hat, reale Änderungen zu bewirken, zeigte sich Salman als „starker Mann“: In einer beispiellosen Verhaftungswelle wurden Anfang November mehr als 200 Personen verhaftet und Bankkonten eingefroren.
Das ist wohl nicht der Beginn von Reformen, die über wirtschaftliche Änderungen hinausgehen. Zwar wird nächstes Jahr das Gesetz aufgehoben, das Frauen das Autofahren verbietet. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung nehmen Repression und Willkür aber zu.
Iran ist der große Konkurrent, der Macht und Einfluss Saudi-Arabiens bedroht. Nicht militärisch, sondern durch seine wirtschaftliche Entwicklung. Der Iran ist nicht in gleicher Weise von Öl und Gas abhängig wie Saudi-Arabien, sondern verfügt über Textilindustrie, Automobilindustrie, Landwirtschaft und Zement- und Baustoff-Produktion. Und nicht zu vergessen: über Projekte zur Entwicklung modernster Technologien, wie Atomindustrie und Raketentechnik.
„Egal ob bei Bildung und Kultur, Literatur und Film, Wissenschaft und Universitäten, sozialem Engagement, Arbeitsmoral oder intellektueller Dynamik – es liegen Welten zwischen den Rivalen auf beiden Seiten des Persischen Golfs“, wie Martin Gehlen in der „Zeit“ schrieb. Damit ist der Iran auf dem Weg der „Vision 2030“ viel weiter als Saudi-Arabien.
Iran ist der Konkurrent und sein Einfluss muss eingeschränkt werden, selbst wenn es Öleinkünfte kostet, wie bei den Verhandlungen in Doha im April 2016. Da sind sich US-Präsident Trump, Israel und der saudische Kriegsminister Mohammed bin Salman einig.
Die „Vision 2030“ kommt zu spät, um den Wettbewerb gegen den Iran zu gewinnen. So bleibt es bei der Kriegspolitik des Landes im Jemen und gegenüber Syrien und bei den Drohungen gegen den Libanon.