Am 29. Mai 1994 starb Erich Honecker im Exil in Chile. Bis heute versprühen bürgerliche Politiker und Medien Gift und Galle gegen den einst „mächtigsten Mann der DDR“. Weder den Nazis gelang es Honecker zu brechen, noch der bundesdeutschen Klassenjustiz, die den damals schon Todkranken in U-Haft steckte und ihn in einem politischen Prozess vorzuführen versuchte. Aus Anlass des Todestages Erich Honeckers vor 25 Jahren dokumentieren wir hier Auszüge aus seiner persönlicher Erklärung vor dem Berliner Landgericht im Dezember 1993, in der er den politischen Charakter des Prozesses entlarvt, den Bau der Mauer historisch einordnet und eine Bilanz der Geschichte der DDR zieht.
Dieses Ziel des Prozesses, den totgesagten Sozialismus noch einmal zu töten, offenbart, wie Herr Kohl, wie Regierung und Opposition der BRD die Lage einschätzen. Der Kapitalismus hat sich ökonomisch genauso totgesiegt wie sich Hitler einst militärisch totgesiegt hat. Der Kapitalismus ist weltweit in eine ausweglose Lage geraten. Er hat nur noch die Wahl zwischen dem Untergang in einem ökologischen und sozialen Chaos und der Aufgabe des Privateigentums an Produktionsmitteln, das heißt dem Sozialismus. Beides bedeutet sein Ende. Nur, der Sozialismus erscheint den Herrschenden der Bundesrepublik Deutschland offenbar als die akutere Gefahr. Dem soll dieser Prozess genauso vorbeugen, wie der ganze Feldzug gegen das Andenken an die untergegangene DDR, wie deren Stigmatisierung als „Unrechtsstaat“.
Auch wenn Sie sich auf Deutschland beschränken und die politischen Entscheidungen in beiden deutschen Staaten einander gegenüberstellen, würde eine ehrliche und objektive Bilanz zugunsten der DDR ausfallen. Wer seinem Volk das Recht auf Arbeit und das Recht auf Wohnung verweigert, wie das in der BRD der Fall ist, nimmt in Kauf, dass zahlreichen Menschen ihre Existenz genommen wird und sie keinen anderen Ausweg sehen als aus dem Leben zu scheiden. Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Drogenmissbrauch, Beschaffungskriminalität, Kriminalität überhaupt sind alle das Ergebnis der politischen Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft. Selbst anscheinend so politisch neutrale Entscheidungen wie die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen sind Folgen einer Staatsverfassung, in der nicht die freigewählten Politiker, sondern die nichtgewählten Wirtschaftsbosse das Sagen haben.
Dennoch habe ich am Ende meines Lebens die Gewissheit, die DDR wurde nicht umsonst gegründet. Sie hat ein Zeichen gesetzt, dass Sozialismus möglich und besser sein kann als Kapitalismus. Sie war ein Experiment, das gescheitert ist. Doch noch nie hat die Menschheit wegen eines gescheiterten Experiments die Suche nach neuen Erkenntnissen und Wegen aufgegeben. Es ist nun zu prüfen, warum das Experiment scheiterte. Sicher scheiterte es auch, weil wir, ich meine damit die Verantwortlichen in allen europäischen sozialistischen Ländern, vermeidbare Fehler begangen haben. Sicher scheiterte es in Deutschland unter anderem auch deswegen, weil die Bürger der DDR wie andere Deutsche vor ihnen eine falsche Wahl trafen und weil unsere Gegner noch übermächtig waren. Die Erfahrungen aus der Geschichte der DDR werden mit den Erfahrungen aus der Geschichte der anderen ehemaligen sozialistischen Länder für die Millionen in den noch existierenden sozialistischen Ländern und für die Welt von morgen insgesamt nützlich sein. Wer seine Arbeit und sein Leben für die DDR eingesetzt hat, hat nicht umsonst gelebt. Immer mehr „Ossis“ werden erkennen, dass die Lebensbedingungen in der DDR sie weniger deformiert haben, als die „Wessis“ durch die „soziale“ Marktwirtschaft deformiert worden sind, dass die Kinder in der DDR in Krippen, in Kindergärten und Schulen sorgloser, glücklicher, gebildeter und freier aufwuchsen als die Kinder in den von Gewalttaten beherrschten Schulen, Straßen und Plätzen der BRD. Kranke werden erkennen, dass sie in dem Gesundheitswesen der DDR trotz technischer Rückstände Patienten und nicht kommerzielle Objekte für das Marketing von Ärzten waren. Künstler werden begreifen, dass die angebliche oder wirkliche DDR-Zensur nicht so kunstfeindlich war wie die Zensur des Marktes. Staatsbürger werden spüren, dass die DDR-Bürokratie plus der Jagd auf knappe Waren nicht so viel Freizeit erforderte, wie die Bürokratie der BRD. Viele werden auch begreifen, dass die Freiheit, zwischen CDU/CSU, SPD und FDP zu wählen, nur die Freiheit zu einer Scheinwahl bedeutet. Sie werden erkennen, dass sie im täglichen Leben, insbesondere auf ihrer Arbeitsstelle, in der DDR ein ungleich höheres Maß an Freiheit hatten, als sie es jetzt haben. Schließlich werden die Geborgenheit und Sicherheit, die die kleine und im Verhältnis zur BRD arme DDR ihren Bürgern gewährte, nicht mehr als Selbstverständlichkeit missachtet werden, weil der Alltag des Kapitalismus jetzt jedem deutlich macht, was sie in Wahrheit Wert sind.
Die Bilanz der 40-jährigen Geschichte der DDR sieht anders aus, als sie von den Politikern und Medien der BRD dargestellt wird. Der wachsende zeitliche Abstand wird das immer deutlicher machen.
Der Prozess gegen uns Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR soll ein Nürnberger Prozess gegen Kommunisten werden. Dieses Unternehmen ist zum Scheitern verurteilt. In der DDR gab es keine Konzentrationslager, keine Gaskammern, keine politischen Todesurteile, keinen Volksgerichtshof, keine Gestapo, keine SS. Die DDR hat keinen Krieg geführt und keine Kriegs- oder Menschlichkeitsverbrechen begangen. Die DDR war ein konsequent antifaschistischer Staat, der wegen seines Eintretens für den Frieden hohes internationales Ansehen besaß.