Merkel übernimmt Führung bei antirussischer Politik und Aufrüstung

Obamas Nachfolgerin

Von Lucas Zeise/German-Foreign-Policy

Der scheidende US-Präsident Barack Obama hat die Kontinuität seiner antirussischen Politik in die Hände Deutschlands und dessen Regierungschefin Angela Merkel gegeben. Sein Abschiedsbesuch in Europa wurde am vergangenen Freitag mit einer in Berlin versammelten Runde von Regierungschefs und Staatsoberhäuptern beendet. Auf Einladung von Kanzlerin Angela Merkel fanden sich neben Obama Frankreichs Präsident François Hollande und die Regierungschefs aus Britannien, Italien und Spanien, Theresa May, Matteo Renzi und Mariano Rajoy, zusammen. Einziger veröffentlichter Beschluss der Runde war eine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland. Formelle Beschlüsse in Washington und Brüssel werden noch nachgereicht.

Das Treffen der Sechs fand im Berliner Kanzleramt statt. Der scheidende US-Präsident sorgte so symbolisch und real dafür, dass seine antirussische Politik in Europa fortgeführt wird. In den europäischen Hauptstädten fürchtet man nach dem Amtsantritt Donald Trumps einen Kurswechsel gegenüber Russland. Im Wahlkampf hatte der künftige Präsident davon gesprochen, dass er die Beziehungen zu Russland verbessern wolle. Dem soll offensichtlich vorgebeugt werden. Dass die antirussische Politik und die verstärkte Aufrüstung unter der informellen Führerschaft Deutschlands stattfindet, wie es das Arrangement des Treffens im Kanzleramt in Berlin nahelegt, ist bei den anderen Beteiligten aus Europa anscheinend akzeptiert worden. Das Weiße Haus betonte in seiner Erklärung die Geschlossenheit, mit der der Sanktionsbeschluss gegen Russland gefasst worden ist.

Die Szene passt sich ein in die „Analysen“ liberaler westlicher Medien sowie von Teilen des außenpolitischen Establishments, die deutsche Kanzlerin zur „Anführerin des liberalen Westens“ zu erklären und die Deutschland-Reise des scheidenden US-Präsidenten als „Staffelübergabe“ an Berlin einzustufen. Die Aufwertung der deutschen Kanzlerin wird gewöhnlich damit begründet, dass sie Donald Trump noch am 9. November eine Fortsetzung der Zusammenarbeit nur unter Bedingungen angeboten hat: Man werde lediglich auf der Grundlage „gemeinsamer Werte“ kooperieren. Die Äußerung war weltweit mit Erstaunen aufgenommen worden. Man sei es gewohnt, dass Washington seine Zusammenarbeit mit Staaten Lateinamerikas an die „Bedingung“ knüpfe, dass „Werte“ eingehalten würden, heißt es. Bisher habe sich noch kein deutscher Regierungschef eine Konditionalisierung der Kooperation mit Washington angemaßt. Die deutsche Kanzlerin biete den USA nun offen die Stirn.

Für Berlin kommt die Aufwertung zur Führungsmacht des „liberalen Westens“ zu einem heiklen Zeitpunkt. Militärisch genügt die Schlagkraft der EU-Streitkräfte nicht für die angestrebte weltpolitische Führungsposition. Die Politik der verstärkten Aufrüstung der europäischen Staaten scheint zwar Konsens. Ob dies aber  im Rahmen eigenständiger EU-Strukturen oder „nur“ im Rahmen der NATO stattfinden soll, bleibt kontrovers. Das zeigen die Ergebnisse der Tagungen der Kriegs- und Außenminister der EU, die in Anwesenheit des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg einige Tage vor dem Sechsertreffen stattgefunden hatten. Die EU wird danach ihre Zusammenarbeit mit der NATO ausbauen.  Gleichzeitig treibt die EU ihre eigene Aufrüstung und den Ausbau von Militärstrukturen voran. Washingtons engste europäische Verbündete – Großbritannien, Polen, die baltischen Staaten – wenden sich aber gegen den Aufbau militärischer EU-Parallelstrukturen. Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon plädierte dafür, die EU-Staaten sollten, »statt teure neue Hauptquartiere zu planen oder von einer europäischen Armee zu träumen«, endlich »mehr für die eigene Verteidigung« ausgeben – im NATO-Rahmen natürlich. Also muss die EU, solange Großbritannien noch Mitglied ist, auf den symbolisch wichtigen Aufbau eines militärischen EU-Hauptquartiers verzichten und sich mit einer Art Minihauptquartier für Ausbildungseinsätze begnügen. Immerhin aber kann sie in Kürze beginnen, ein Logistik- und ein Sanitätskommando zu errichten. Die Strukturen, die die EU – mit Zustimmung der NATO – laut Beschluss nun aufbauen will, sind vorerst auch für Kriege des transatlantischen Bündnisses nützlich.

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"Obamas Nachfolgerin", UZ vom 25. November 2016



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