Ein Film als bittere Komödie oder auch als Satire

Nutznießer

Matthias Becker

Der Film „Parasite“ gewann in der Nacht auf den 10. Februar 2020 vier Oscars (Bester Film, Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch und Bester Internationaler Film). Zuvor hatte das Werk des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon Ho bereits einen Golden Globe sowie die Goldene Palme beim Filmfestival in Cannes gewonnen. Es ist der erste Oscar für Südkorea in der Kategorie Internationaler Film; bis 2019 firmierte diese in Los Angeles noch unter der Bezeichnung „Bester Fremdsprachiger Film“.

Familie Kim ist ganz unten angekommen: Vater, Mutter, Sohn und Tochter hausen in einem grünlich-schummrigen Keller, kriechen für kostenloses WLAN in jeden Winkel und sind sich für keinen Aushilfsjob zu schade. Erst als der Jüngste eine Anstellung als Nachhilfelehrer in der todschicken Villa der Familie Park antritt, beginnt der Klassenkampf. Die Familien könnten unterschiedlicher, auch in ihrer Überzeichnung, nicht porträtiert sein. Vater Park ist Geschäftsführer einer IT-Firma, seine Frau beschäftigt sich neben der Kindeserziehung lieber mit Diäten und Modefragen.

Mit findigen Tricksereien, bemerkenswertem Talent und großem Mannschaftsgeist gelingt es Familie Kim, die bisherigen Bediensteten der Familie Park nach und nach loszuwerden. Bald schon sind die Kims unverzichtbar für ihre neuen Herrschaften. Doch dann löst ein unerwarteter Zwischenfall eine Kette von Ereignissen aus, die so unvorhersehbar wie unfassbar sind.

Bong Joon Ho hat das Thema Klassenstrukturen bereits in „Snowpiercer“ (2014) aufgegriffen und sich in „Okja“ (2017) mit den unmenschlichen Auswirkungen des Kapitalismus beschäftigt. Angesichts dessen ist „Parasite“ charakteristisch für Bong Joon Hos Werk, weil auch hier erneut Fragen zu sozialen Institutionen und Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft gestellt werden. Für diesen Ansatz nutzt er gleich mehrere Genres, deren Grenzen kontinuierlich überschritten werden.

Auf die Frage, welches Bild der Gesellschaft er mit dem Film entwerfen wollte, entgegnete der Filmemacher: „Ich denke, eine Möglichkeit, wie man die anhaltende wirtschaftliche Polarisierung und soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft darstellen kann, ist, sie als traurige Komödie zu inszenieren. Wir leben in einer Zeit, in der Kapitalismus die herrschende Ordnung ist und wir keine Alternative haben. Nicht nur Südkorea, sondern die ganze Welt befindet sich in einer Lage, in der die Grundsätze des Kapitalismus nicht ignoriert werden können.“

Diese Grundsätze werden dem Zuschauer mit Hilfe zahlreicher erzählerischer Kniffe vorgeführt. Jede Wendung kommt unerwartet und die Spannung steigt exponentiell und wird in ausgefeilter visueller Form, eine vom Bildkontrast stark überhöhte Zeitlupensequenz ist besonders sehenswert, dargeboten. Dabei bewegt sich der Regisseur fast spielerisch in zahlreichen vermeintlich konträren Genres, wie Thriller, Horror, Drama und Komödie.

Die Unterklasse wohnt im wahrsten Sinne des Wortes gleich unterhalb der Oberklasse, nämlich im unteren Teil der Stadt in einem Kellergeschoss, die Oberklasse dagegen auf einem Hügel über der Metropole Seoul. Im weiteren Verlauf der Handlung fällt heftiger Regen, ein sintflutartiger Regen. Während sich Familie Park freut, dass die Wassermassen den Dreck aus der Luft reinigen, kämpft Familie Kim ums nackte Überleben. Der Unterklasse steht das Wasser, nicht nur der sprichwörtlichen Redensart nach, bis zum Hals. Die Lebens-, Arbeits- und Konsummodelle des Westens werden vorgeführt und die Maske der Eigeninteressen entlarvt. Wie verhalten wir uns bei sozialer Ungerechtigkeit? Wie verhalten wir uns, um unseren Besitz zu schützen oder Besitz zu erlangen? Diesen aktuellen Fragen unserer Zeit geht die dramaturgisch überaus geschickt aufgebaute Sozialsatire nach.

Dass der Film in Hollywood so gut ankam und wichtige Oscars erhielt, lag nicht an den sonstigen Streifen, die sich um die begehrten Trophäen bewarben. Zu vermuten ist, dass der Mehrzahl der rund 9.000 stimmberechtigten Akademiemitglieder das handwerkliche Geschick und die kritische, aber durch die Überzeichnung gemilderte Sicht auf die herrschenden Verhältnisse gefallen hat.

Seit dem 13. Februar 2020 läuft „Parasite“, neben der regulären Farb-Fassung auch in einer Schwarz-Weiß-Fassung, in den deutschen Kinos. Ab dem 5. März 2020 ist „Parasite“ auch auf DVD und Blu-ray erhältlich.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Nutznießer", UZ vom 28. Februar 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit