Eine friedenspolitische Initiative gab es letzte Woche im Bundestag. Am 17. Mai lag dem Parlament der kurze, knappe Antrag vor: „Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und die parlamentarische Kontrolle muss zu jedem Zeitpunkt möglich sein. Die Bundeswehr wird daher mit sofortiger Wirkung vom Standort InÇirlik (Türkei) abgezogen.“ Gerade einmal 25 Minuten räumte der Bundestag der Beratung über diesen Antrag den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Partei „Die Linke“ ein. Nach der bisher letzten Weigerung der türkischen Regierung, einer Parlamentsgruppe den Besuch auf dem NATO-Stützpunkt im Südosten der Türkei zu gestatten, gab es den vorhersehbaren Protest der Oppositionsparteien. Es war bezeichnend, wie die Debatte verlief: Claudia Roth mit Emphase und der ständigen Betonung auf der Parlamentsarmee und der Behauptung, dass sich „unser Land nicht erpressen lassen dürfe“. Roderich Kiesewetter (CDU) begründete das Nein zum Antrag damit, dass „wir da bleiben müssen, da sonst die Türkei sich immer mehr Russland und dem Iran annähern würde“. Sowohl Rolf Mützenich (SPD) wie auch Florian Hahn (CSU) plädierten für Besonnenheit und vertrauliche Diplomatie, um den so wichtigen Partner Türkei im Kampf gegen den Terror nicht zu vergraulen.
Dietmar Bartsch (Die Linke) schimpfte zwar heftig und professionell, wollte ebenfalls die Rolle des Parlaments gestärkt sehen, blieb aber beim Antragstext, also nur weg aus InÇirlik.
Der Antrag wurde dann mit der Mehrheit aus CDU/CSU und SPD an den Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten verwiesen, dort kann er dann in Ruhe die parlamentarische Sommerpause überstehen. Ministerin von der Leyen hatte zeitgleich nichts Besseres zu tun, als potentiell neue Standorte für die Bundeswehr in der Region zu „evaluieren“. Favorit ist nach ihrem Bekunden ein Luftwaffenstützpunkt im Norden Jordaniens.
Der türkische Präsident Erdogan führt nicht nur die Bundesregierung und den Bundestag vor, auch der westliche Militärpakt wird zum Offenbarungseid gezwungen. Der Despot kann derzeit schalten und walten wie er will, wirkliche Konsequenzen muss er nicht fürchten. Die Türkei ist – über den Merkel-Erdogan-Flüchtlingsdeal hinaus – zu wichtig. Der deutsche Vizekanzler Gabriel rechtfertigt das unverdrossene Festhalten an Erdogans Türkei damit, die NATO habe doch auch während des Militärputschs in den 80er Jahren Ankara nicht den Rücken gekehrt. Der FDP-Spitzenpolitiker und Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, urteilte ehrlich, die Türkei sei für die NATO „unser Flugzeugträger im Nahen Osten“. Und eben deswegen nennt US-Präsident Trump die Beziehungen zu seinem Amtskollegen Erdogan „unschlagbar“. Sie sind so unschlagbar, dass die Armee des NATO-Landes Türkei eine carte blanche – und wahrscheinlich Zieldaten aus den „Tornado“-Aufklärungsflügen – für die Angriffe auf die kurdischen Selbstverteidigungsmilizen YPG in Syrien hat, während diese gleichzeitig vom NATO-Mitglied USA mit Waffen für den Kampf gegen den IS ausgestattet werden.
Natürlich hat die Bundesregierung und die sie stützende Parlamentsmehrheit keinerlei Absicht, sich nicht mehr an der Destabilisierung einer ganzen Region zu beteiligen, mit der vorgetragenen Behauptung, den Kampf gegen den Terror führen zu müssen, werden alle Friedensbemühungen oder zumindest Waffenstillstandsvereinbarungen unterlaufen. Von den NATO-Strategien zur Beherrschung oder zumindest der Kontrolle über die gesamte Region will von der Leyen nicht lassen, diese Standortsuche ist nur Augenwischerei. Auch sollen vielleicht die Tornados der Luftwaffe verlegt werden, die Awacs mit ihren Bildern für die militärischen Verbündeten starten von Konya aus, auch hier hat die türkische Regierung ein Besuchsverbot erlassen, aber über deren Abzug ist überhaupt nicht gesprochen worden.
Der gesamte Einsatz der Bundeswehr vor dem Hintergrund der fehlenden verfassungsrechtlichen Grundlagen, der eben nicht in einem System kollektiver Sicherheit stattfindet, was Voraussetzung nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts wäre, ist nur auf der Basis von Abstimmungsmehrheiten im Parlament gerechtfertigt worden. Mit dem Wort von der „Parlamentsarmee“, was nichts anderes heißt, als dass die Parteien, die dank ihrer Mehrheit die Regierung stellen, dieser durch ihre Abstimmungen Legitimation verschaffen. Wenn nach Auffassung der Opposition der gesamte Einsatz offensichtlich verfassungswidrig ist, dann ist ein Antrag, der nur den Abzug von einem Standort fordert und nicht die Rückkehr aller Soldatinnen und Soldaten nebst Waffen und Gerät verlangt, ein wenig verkürzt geraten.