Allianzen aus Gewerkschaften und Kirchen kämpfen für den freien Sonntag

Nur noch Werktage?

Von Volker Metzroth

Als Reaktion auf zunehmende sonntägliche Ladenöffnungen wird der Kampf um den freien Sonntag intensiver. Den Handelsketten und willfährigen Kommunalbehörden stellen sich zunehmend Gewerkschaften (ver.di und DGB) und Kirchen in den Weg, um den freien Sonntag als sozialpolitische Errungenschaft oder Geschenk des Himmels oder beides gemeinsam zu verteidigen. Von Gewerkschaften und Kirchen getragene Allianzen für den freien Sonntag obsiegen hier vermehrt vor den Gerichten. Spektakulär war das Verbot einer Sonntagsöffnung jüngst in Frankfurt.

Während vor 30 Jahren die Geschäfte weniger als 60 Stunden pro Woche öffneten, setzte mit dem „langen Donnerstag“ eine zunehmende Deregulierung ein. Die ist nach Bundesländern unterschiedlich, seit Ladenöffnungszeiten keine Bundesangelegenheit mehr sind. In Rheinland-Pfalz z. B. stiegen die erlaubten Zeiten um 67 Prozent auf 96 Stunden wöchentlich, bundesweit ein Mittelwert. Leidtragende sind überwiegend Frauen, die den Großteil der im Einzelhandel oft prekär Beschäftigten stellen.

Die verlängerten Öffnungszeiten hatten und haben auch die Funktion, Türöffner für andere Dienstleistungs- und Industriebereiche zu sein, um auch dort die Arbeit abends oder samstags durchzusetzen. Dem Ziel, 24 Stunden an sieben Tagen arbeiten zu lassen, um die Profitmaximierung zu beschleunigen, dienen Initiativen wie die des Metro-Konzerns. Der fordert seit Jahren allsonntägliche Geschäftsöffnungen. Leider sind es auch Beschäftigte anderer Branchen, oft von Montag bis Samstag im Stress, die Sonntagsöffnungen wollen, weil man dann mal „in Ruhe shoppen könne“. Dabei vergessen viele, dass ihr freier Samstagnachmittag oder -abend auf diese Weise gekippt wurde und sie in der 7-mal-24-Welt sonntags großteils nicht shoppen, sondern auch arbeiten würden. Der Anteil der Sonntagsarbeiter nahm von 1991 bis 2012 von 17,2 auf 26,2 Prozent zu, Samstagsarbeit gar von 32,7 auf 43,5 Prozent.

Die Ausdehnung der Öffnungszeiten ist Ausdruck der kapitalistischen Konkurrenz. Die Großen verdrängen die Kleinen, deren Kosten bei stagnierenden oder gar sinkenden Umsätzen mit den Betriebszeiten steigen. Was viele der Kleinen aber nicht davon abhält, sich von lokalen Lobbygruppen unter Führung von Kaufhof, Media-Markt usw. sonntäglich in die vorgebliche Schlacht gegen den Internethandel schicken zu lassen. Zugleich forciert z. B. der Kaufhof seinen Internethandel. Kommunalpolitiker, deren Denken nur noch um angeblich alternativlose Sachzwänge kreist, wollen ihre Finanzen sanieren. Sie helfen deshalb dem lokalen Einzelhandel bei Versuchen, Kunden und Kaufkraft aus Nachbarstädten wegzulocken. Ihre Parteifreunde dort treiben dann dasselbe Spielchen, um ihren Einzelhandelsstandort zu stärken.

Dabei nehmen es viele Kommunen mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht so ernst. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte, dass der verfassungsunmittelbare Sonntagsschutz nicht hinter dem reinen Umsatz- oder Shoppinginteresse von Handel oder Kundschaft zurückstehen darf. Für Ausnahmen müssen Anlässe vorliegen, die auch ohne Geschäftsöffnung große Menschenmengen in Städte locken wie traditionelle Messen und Märkte. Kommunen, die einen Bierstand und eine Schießbude als traditionelles Sommerfest anerkennen und dann Sonntagsöffnungen genehmigen, fallen zunehmend nach Klagen von Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden wie der KAB auf den Bauch.

Klagen ist gut, ersetzt aber nicht das politische Eingreifen. So geht z. B. in Bad Kreuznach die lokale Allianz regelmäßig an offenen Sonntagen auf die Straße mit Infoständen, Flugblättern und Unterschriftensammlungen. Selbst das musste durchgesetzt werden gegen Versuche, die öffentliche Hoheit über die Straßennutzung an verkaufsoffenen Sonntagen auf einen Interessenverband zu übertragen. Die Kirchenglocken läuteten mehrfach minutenlang aus Protest gegen den Shopping­rummel. Im Münster/Westfalen werden Unterschriften für ein Bürgerbegehren für den freien Sonntag gesammelt. Die dortige DKP unterstützt das. In Rheinland-Pfalz machte die Landesallianz den Streit zum Wahlkampf­thema.

Nicht das stärkste Kettenglied sind die zumeist unorganisierten Beschäftigten des Einzelhandels und ihre Betriebsräte. Die Betreiber sonntäglicher Shoppingrummel reden gerne von Freiwilligkeit. Aber jeder weiß, wie Freiwilligkeit dort zustande kommt, wo Angst um den Job herrscht und ein Niedriglohn durch Sonntagszuschläge aufgebessert werden kann. Einzelne Betriebsräte legten sich quer, konnten alleine dem Dauerdruck aber nicht standhalten. Selbst Ladeninhaber äußern individuelle Ablehnung unter dem Druck lokaler Lobbyverbände selten öffentlich. Deshalb muss mit breiten Bündnissen um die Einhaltung der Gesetze und höchstrichterliche Rechtsprechung gerungen, ein volkswirtschaftlich unsinniger Wettbewerb dieser Art unterbunden werden.

Sonntagsschutz ist Arbeitsschutz. Und der muss immer zweimal erkämpft werden, in der Gesetzgebung und dann in der alltäglichen Praxis. Der Kampf um den freien Sonntag ist auch Teil des Kampfes um humanere Arbeitszeiten, für mehr gemeinsame arbeitsfreie Zeiten.

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"Nur noch Werktage?", UZ vom 8. Juli 2016



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