UZ sprach mit Reiner Braun vom Internationalen Friedensbüro, einem der Initiatoren des Aufrufs.
UZ: Vor wenigen Wochen veröffentlichten Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht ihr „Manifest für Frieden“, das inzwischen über eine Viertelmillion Menschen unterschrieben haben. Warum braucht es jetzt einen neuen Aufruf?
Reiner Braun: Unser Aufruf ist ein Aufruf an die Mitte der Gesellschaft. Erstens kommt er wirklich aus dieser Mitte der Gesellschaft. Zweitens wird er unterstützt von Menschen, die in der Entspannungspolitik der 1970er und 1980er Jahre politisch aktiv wurden und von ihr geprägt worden sind. Die Gemeinsame Sicherheit als Alternative zur Konfrontation steht im Mittelpunkt unseres Aufrufes. Wir versuchen, den Gedanken eines Waffenstillstands verstärkt zu popularisieren und ihn zu verbinden mit einer Zielsetzung für eine neue Friedens- und Sicherheitsarchitektur. Er ist kein Gegensatz zu anderen Aufrufen, sondern eine Unterstützung für das gemeinsame Ziel, Frieden und als ersten Schritt Verhandlungen in der Ukraine zu erreichen.
UZ: Die derzeitige SPD-Führung stellt die Entspannungspolitik seit Willy Brandt und die Zusammenarbeit mit Russland infrage. Gibt es Frieden denn nun nur mit oder nur gegen Russland, wie der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil meint?
Reiner Braun: In unserem Aufruf heißt es ganz eindeutig: „Frieden kann nur auf der Grundlage des Völkerrechts und auch nur mit Russland geschaffen werden.“ Russland ist das größte Land der Erde. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, es geht über elf Zeitzonen, es ist reich an Ressourcen. Es gibt eine lange Tradition deutsch-russischer, deutsch-sowjetischer Beziehungen. Wer glaubt, Frieden in Europa ohne dieses Land erreichen zu können, vergisst die leidvolle Geschichte und baut auf Illusionen. Eine europäische Friedensarchitektur, die den Namen verdient, wird es nur mit Russland geben. Daran muss man arbeiten. Erreichte kooperative Strukturen und Rüstungskontrolle sind im Wesentlichen durch die NATO zerstört worden. Es ist die Aufgabe der Politik und jetzt der Zivilgesellschaft, diese Elemente und Strukturen für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa mit Russland zu entwickeln. Das wird eine große Herausforderung. Die erste ist, dass der Krieg in der Ukraine mit Verhandlung und Waffenstillstand gestoppt wird.
UZ: Verzichten Sie deshalb im Aufruf bewusst auf eine Verurteilung Russlands?
Reiner Braun: Wir haben in dem kurzen und prägnanten Aufruf einen deutlichen Satz zum Angriffskrieg Russlands. Unser Appell hat nicht die Aufgabe, analytisch die Situation in und um Russland, der Ukraine oder Eurasien zu diskutieren, sondern Impulse zu setzen für Waffenstillstandsverhandlungen und gemeinsame Sicherheit. Nicht mehr und nicht weniger ist Ziel dieses Aufrufes. Er soll damit einen Beitrag leisten für die so dringend notwendige geostrategische Debatte.
UZ: Im Aufruf wird Bundeskanzler Olaf Scholz ermutigt, zusammen mit Frankreich Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen. Schafft Europa es nicht mehr, seine Probleme allein zu lösen?
Reiner Braun: Es ist offensichtlich, dass Europa es nicht schafft. EU-Europa sieht sich leider zu nichts anderem in der Lage, als immer mehr und gefährlichere Waffen an die Ukraine zu liefern und den Wirtschaftskrieg gegen Russland zu intensivieren. Der Friedensprozess in der Ukraine wird hoffentlich durch neue politische Player verstärkt beeinflusst und zu einem guten Ende kommen. Dazu gehören wesentliche Länder des Globalen Südens, die sich ja zunehmend in einer um Brasilien und China gruppierten Friedenskoalition zusammenfinden. Von denen werden meiner Meinung nach entscheidende Impulse für diese Verhandlungen ausgehen. Wir formulieren im Aufruf bewusst vorsichtig. Wir erwarten, dass der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Scholz diese Impulse in die europäische Politik einbringen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Europa eine tragende Rolle in dem Friedensprozess spielt. Dazu schreien zu viele Regierungen Europas auf dem Kriegspfad ganz laut Hurra. Feldherrengehabe, wie es der ukrainische Botschafter in Reaktion auf unseren Aufruf an den Tag legt, ist zutiefst inhuman und zerstörerisch.
UZ: Wie ist die weitere Arbeit mit dem Papier geplant?
Reiner Braun: Wir machen keinem der anderen Friedensaufrufe Konkurrenz. Wir versuchen, mit unserem Aufruf und auch mit den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern besonders unter Sozialdemokraten und Gewerkschaftern zu wirken. Wir haben noch nicht genau entschieden, wie wir es machen. Wir werden als ersten Schritt mit den Unterzeichnern eine gemeinsame Online-Beratung machen und dann entscheiden, wie wir uns in die Debatte um Waffenstillstandsverhandlungen einmischen. Wir sind Teil von den vielfältigen Aktivitäten, die hoffentlich diesen desaströsen Krieg beenden können.
UZ: Wie kann der Aufruf unterstützt werden?
Reiner Braun: Wir richten gerade eine Website unter friedenschaffen.net ein. Dort wird es die Möglichkeit geben, den Aufruf zu unterschreiben, und alle sind gebeten, diesen weiterzuverbreiten.