Von Dienstag bis Donnerstag haben die ver.di-Mitglieder an den Unikliniken Düsseldorf und Essen über die Verträge abgestimmt, die ver.di und Klinikvorstände in der vergangenen Woche unter Vermittlung von zwei Schlichtern ausgehandelt haben. „Kein Grund zum Jubeln“, war die Stimmung bei der Beratung der Streikenden am Freitag vergangener Woche. „Ein Meilenstein für Entlastung“, schätzte Wolfgang Pieper für den ver.di-Bundesvorstand ein: Ein Vertrag, zwei Wahrnehmungen.
46 Tage hatten die Kollegen in Düsseldorf gestreikt, 34 Tage die in Essen. Sie haben gekämpft, damit sie ihre Patienten so versorgen können, wie sie es gelernt haben und damit sie selbst an ihrer Arbeit nicht krank werden. Sie haben analysiert, was dafür nötig ist: Wie viele Patienten kann eine Intensivpflegerin in der Nachtschicht betreuen? Für wie viele Patienten kann ein Serviceassistent Essen und Wäsche vorbereiten, wieviel Kilo Instrumente ein Mitarbeiter der Sterilisierung schaffen?
Sie wissen, was sie brauchen, und das heißt: Dieser Vertrag reicht nicht. 180 neue Stellen bis Oktober 2019, 40 davon außerhalb der Pflege, mussten die Vorstände pro Haus zusichern. Für eine wirkliche Entlastung wäre sofort ein Mehrfaches nötig. Betrachtet man einen einzelnen Arbeitsplatz, bietet der Vertrag keinen Grund zum Jubeln.
Das, was die Streikenden an den Unikliniken Essen und Düsseldorf gefordert haben, ist realistisch und unrealistisch zugleich. Realistisch, weil die Forderungen die wirklichen Bedürfnisse der Patienten und Beschäftigten ausdrücken. Aber gegen diese Bedürfnisse stehen das Profitprinzip im Gesundheitswesen und die „unternehmerische Freiheit“ der Klinikkonzerne und -vorstände – die „Freiheit“, nach der die Chefetage den Mitarbeitern vorschreiben darf, was und wie und mit wie vielen sie ihre Arbeit zu machen haben. Gegen die Forderungen der Streikenden steht die Politik der Regierungen, die Kliniken privatisiert und die Gesundheit an einem irrsinnigen Kostendruck ausgerichtet haben. Unter den heutigen Kräfteverhältnissen sind die Forderungen der Streikenden unrealistisch.
Vor zwei Jahren haben die Mitarbeiter der Berliner Charité erreicht, dass die Frage, wie viel Personal der Vorstand für welche Aufgabe einsetzen muss, zum ersten Mal im Ansatz in einem Tarifvertrag geregelt wurde. Die Klinikleitung fand Wege, um den Tarif nicht umzusetzen, noch heute arbeiten die Kollegen daran. Der Vertrag reichte nicht – aber er war ein Leuchtturm für Klinikbelegschaften im ganzen Land, die begannen, für Entlastung zu kämpfen. Inzwischen haben die Unikliniken in Baden-Württemberg und in Gießen-Marburg dabei erste Erfolge erzielt.
Die Verträge in Düsseldorf und Essen gehen über alle bisherigen Regelungen für Entlastung hinaus. „Es gibt zwei neue Leuchttürme im Kampf für Entlastung“, sagt ver.di-Sekretär Jan von Hagen im UZ-Interview. Sie regeln, dass die Vorstände nicht alleine entscheiden können, wo die 40 neuen Kräfte außerhalb der Pflege eingestellt werden – sie müssen sich mit dem Personalrat einigen oder mit ver.di verhandeln. Die Verträge brechen einen kleinen Riss in die „unternehmerische Freiheit. Sie sind ein Meilenstein – das heißt: Sie sind eine Markierung an einem langen Weg.
Auf diesen Weg haben sich auch die Beschäftigten der Uniklinik Saar in Homburg gemacht. „Wir sind noch kilometerweit weg von dem Ergebnis, das in Düsseldorf und Essen erreicht worden ist“, sagt ver.di-Sekretär Michael Quetting, der dort einen Streik für Entlastung vorbereitet. Bis zum 11. September läuft die Urabstimmung, vermutlich ab dem 19. September wird gestreikt. „Es ist beeindruckend, was die Kollegen geschafft haben“, sagt Quetting, „drunter wird es bei uns keinen Abschluss geben“. Und er fragt: „Wenn es uns gelingen würde, die Kämpfe für Entlastung zusammenzuführen – welche Kraft könnten wir dann entwickeln?“