Auch nach der Enttarnung faschistischer Netzwerke in der nordrhein-westfälischen Polizei blockiert Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) weiterhin eine Studie über rechtsextreme Einstellungen bei den Beamten. Im Gegensatz dazu hält der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein eine solche Studie für „geradezu elementar“. Nach Einschätzung des Inhabers des Lehrstuhls für Kriminologie an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum ist das Weltbild von bis zu 20 Prozent der Polizistinnen und Polizisten ein gefestigt rechtsextremes.
Anders als Seehofer hatte selbst Sebastian Fiedler, immerhin Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), sich bereits im September 2019 für eine solche Erhebung stark gemacht und diese wiederholt eingefordert. Ebenso die Grünen-Landtagsabgeordnete Verena Schäffer, die sich für eine Langzeitstudie ausgesprochen hatte. Eine Überprüfung zu Beginn der Ausbildung reiche nicht aus, da die Radikalisierung meist erst im Dienst erfolge, so die Innenpolitikerin. Auch andere Politikerinnen und Politiker von SPD, Linkspartei, FDP und Grünen forderten Seehofer auf, seinen Widerstand endlich aufzugeben.
Unterdessen laufen in NRW die Ermittlungen gegen die bisher 30 Beamtinnen und Beamte weiter, die sich in WhatsApp-Chatgruppen faschistische Propaganda zugeschickt haben sollen. 26 der Beschuldigten sollen aus dem zum Polizeipräsidium Essen gehörenden Mülheim an der Ruhr stammen. Bei den Durchsuchungen in Privatwohnungen und Dienststellen waren über 100 Mobilfunktelefone, Computer und andere Speichermedien sichergestellt worden, die derzeit noch ausgewertet werden.
Klare Konsequenzen forderte Ulla Jelpke, Innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. „Wer als Polizist seine rassistische und faschistische Gesinnung in internen Chatgruppen deutlich macht, dabei vor strafbaren Inhalten nicht zurückschreckt oder aus falschverstandenem Korpsgeist entsprechende Handlungen von Kollegen deckt, wird auch im Einsatz die nötige Neutralität, Sensibilität und Gesetzestreue vermissen lassen“, sagte sie. Daher solle jetzt nicht nur wegen der Äußerungen in Chatgruppen ermittelt werden. Vielmehr müsse das Vorgehen dieser Beamten, etwa bei Kontrollen von Flüchtlingen und Migranten oder auf linken Demonstrationen, einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden, forderte Jelpke.
Hinweise auf Fehlverhalten von Polizisten hatte es in der jüngsten Vergangenheit genügend gegeben. So hatten sich Antifaschistinnen und Antifaschisten in den vergangenen Tagen öffentlich zu Wort gemeldet und von Übergriffen und Skandalen in ihren Städten berichtet.
Am vergangenen Freitag wurden darüber hinaus neue Fälle, diesmal aus Mecklenburg-Vorpommern, bekannt. Wegen des Verdachts, auf ihren privaten Mobiltelefonen rassistische und faschistische Nachrichten verschickt zu haben, wurden bei zwei Polizisten Hausdurchsuchungen durchgeführt, zwei weitere Beamte wurden vom Dienst suspendiert.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) sprach sich für eine „unabhängige Untersuchung der neofaschistischen Vorgänge in der Polizei“ aus. Zudem forderten die Nazigegnerinnen und Nazigegner Aufklärung darüber, ob es Verbindungen zwischen rechten Netzwerken der NRW-Polizei zu Beamten aus Mecklenburg-Vorpommern gegeben habe, die dort beschuldigt werden, Gruppen wie „Nordkreuz“, sogenannte Prepper oder Reichsbürger, zu unterstützen.
Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, äußerte gegenüber UZ, dass es sich bei den bisherigen Enthüllungen wohl nur um die „Spitze des Eisbergs“ handele. „Ich gehe davon aus, dass die Anzahl an extremen Rechten und Rassisten bei Polizei, Bundeswehr und anderen Ordnungskräften und Sicherheitsbehörden deutlich höher ist“, sagte er. Tatsächlich war erst vor wenigen Tagen ein Leibwächter des Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang als rechtsextrem enttarnt worden.