Nach der Unwetterkatastrophe in Spanien wächst die Wut auf Regierungen und Behörden

Nur das Volk rettet das Volk

Nach der Unwetterkatastrophe in Spanien richtet sich die Wut der Menschen gegen Behörden und Regierungen. Als sich König Felipe VI. zusammen mit Gemahlin, dem spanischen Regierungschef Pedro Sánchez und dem valencianischen Ministerpräsidenten Carlos Mazón am vergangenen Sonntag in der besonders betroffenen Ortschaft Paiporta ein Bild von der Lage machen wollte, wurden sie von den aufgebrachten Bürgern als „Mörder“ beschimpft und mit Schlamm beworfen. Fernsehbilder zeigen Felipe und Königin Letizia mit schmutzigen Gesichtern, Sicherheitskräfte versuchten, sie in Sicherheit zu bringen.

Allein in der 27.000 Einwohner zählenden Gemeinde Paiporta starben bei der Katastrophe am 29. Oktober, bei der heftige Regenfälle für Erdrutsche und Hochwasser gesorgt hatten, mindestens 62 Menschen. Insgesamt geht die Zahl der Getöteten in die Hunderte. Unmittelbarer Auslöser war ein in Spanien als „DANA“ bekanntes Wetterphänomen. Bei diesem „Kaltlufttropfen“ handelt es sich um ein begrenztes Tiefdruckgebiet in hoher Höhe, während unterhalb Hochdruck herrschen kann. Diese Konstellation tritt in Spanien besonders häufig im Herbst auf, wenn das Mittelmeer noch relativ warm ist, und sorgt immer wieder für intensive Niederschläge und Unwetter. Dabei ist das Verhalten und die Bewegung dieser „Kaltlufttropfen“ für Meteorologen oft nur schwer vorherzusagen.

Verschärft wurde die Lage aber offenbar durch das Versagen der Regionalregierung und Behörden. Am 29. Oktober hatte das Meteorologische Institut AEMET bereits um sieben Uhr morgens Alarmstufe Rot ausgegeben und in den Medien tauchten die ersten Berichte über katastrophale Unwetter auf. Doch erst mehr als 13 Stunden später, um 20.12 Uhr, empfingen die Menschen die an alle Mobiltelefone ausgesendete Notfall-SMS, mit der sie vor dem herannahenden Unwetter gewarnt werden sollten – zu diesem Zeitpunkt war die Katastrophe über viele Einwohner schon hereingebrochen, standen sie im Wasser. Zahlreiche Opfer sind zu beklagen, weil sie in ihren Wohnungen oder Autos von den Fluten überrascht wurden.

Als Hauptverantwortlicher gilt vielen Ministerpräsident Mazón von der rechtskonservativen Volkspartei (PP). Wie das Online-Magazin „eldiario.es“ berichtet, hatte Mazón trotz der immer dramatischeren Meldungen bis zum Nachmittag sein reguläres Tagesprogramm mit drei offiziellen Terminen absolviert. Erst mit Verspätung traf er auch zu einer um 17 Uhr einberufenen Sondersitzung ein, bei der über die Lage informiert werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt war bereits so viel Regen über den betroffenen Regionen niedergegangen wie sonst in einem ganzen Jahr, Brücken waren eingestürzt und Straßen weggeschwemmt.

Doch nicht nur das persönliche Versagen des Regierungschefs empört die Menschen. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt Ende 2023 hatten Mazón und seine PP die wenige Monate zuvor von seinen sozialdemokratischen Amtsvorgängern eingeführte Sondereinheit für Notfalleinsätze, die Unitat Valenciana d’Emergències (UVE), wieder abgeschafft, um Gelder einzusparen. Diese UVE war gerade dafür geschaffen worden, in Notsituationen wie Naturkatastrophen der Bevölkerung schnelle Hilfe leisten zu können. „Wir sehen uns nicht nur einer menschlichen und Naturkatastrophe gegenüber“, erklärte deshalb Non Casadevall von der katalanischen Linkspartei CUP. „Wir stehen einem politischen Desaster gegenüber, für das es konkrete Verantwortliche gibt. Die Regierungsführung der PP war fahrlässig, sie hat Wirtschaftsgewinne und Kürzungen der öffentlichen Dienste priorisiert und dadurch die Bevölkerung schutzlos schrecklichen Situationen wie der DANA ausgesetzt.“

Auch die valencianischen Kommunisten sprechen von einem Verhalten der Regierung, das an ein Verbrechen grenze. „Das Fehlen klarer Warnungen und Anweisungen, als die Überschwemmungen in den Gemeinden begannen, ist ein unverzeihlicher Akt der Nachlässigkeit. Die Tatsache, dass tausende von Menschen ihr alltägliches Leben an ihren Arbeitsplätzen und in der Öffentlichkeit fortsetzten, während das Wasser um sie herum anstieg, ist ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass die Regionalregierung nicht in der Lage oder nicht willens war, rechtzeitig zu handeln“, heißt es in einer Stellungnahme der PCPV, der Regionalorganisation der spanischen Kommunistischen Partei (PCE) in Valencia. Ihre Schlussfolgerung: „Nur das Volk rettet das Volk!“

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"Nur das Volk rettet das Volk", UZ vom 8. November 2024



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