Die Tageszeitung „junge Welt“ sprach mit Olaf Harms (DKP) über den 1. Mai. An dieser Stelle dokumentieren wir das Interview.
junge Welt: Sie sind als Gewerkschafter und Antifaschist in Hamburg aktiv. Wie sehen Ihre Pläne für den 1. Mai in Coronazeiten aus?
Olaf Harms: Ich gehe natürlich auf die Straße, zusammen mit anderen, aber unter den notwendigen Bedingungen. Das heißt mit Zwei-Meter-Abstand und Nasen-Mund-Schutz. Ich sehe es nicht ein, dass Hunderttausende täglich zur Arbeit fahren, wo oft kein Mindestabstand eingehalten werden kann, und zudem die Geschäfte teilweise wieder öffnen, aber Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter am 1. Mai mit ihren Losungen nur auf dem Bildschirm zu sehen sein sollen.
junge Welt: Ihre Partei, die DKP, ruft dazu auf, das bundesweite Bündnis »Heraus zum 1. Mai« zu unterstützen, welches unter Beachtung des Infektionsschutzes zu Protesten mobilisiert. Ihre Gewerkschaft, Verdi, lädt dagegen einzig zu virtuellen Aktionen in sogenannten sozialen Netzwerken ein. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Olaf Harms: Ich finde dieses Bündnis gut, weil es Alternativen zum Beschluss des Deutschen Gewerkschaftsbundes entwickelt, nur virtuell präsent sein zu wollen. Der DGB hatte schon sehr früh alle traditionellen 1.-Mai-Veranstaltungen abgesagt. Das würde ich ihm nicht vorwerfen, galt es doch Anfang, Mitte März, die rasante Verbreitung von Corona zu stoppen. Ich kritisiere aber, dass der einmal gefasste Beschluss nicht an die veränderten Verhältnisse angepasst worden ist. Und ich möchte klarstellen, dass auch meine Gewerkschaft Verdi zu Aktivitäten am 1. Mai anregt.
junge Welt: Inwiefern?
Olaf Harms: In Hamburg haben wir unsere Kolleginnen und Kollegen gebeten, auch und gerade am 1. Mai aktiv zu werden. Sei es ein Spaziergang – natürlich im passenden Outfit mit Verdi-Fahne und kleinem Transparent – oder dadurch, dass zum Beispiel Spruchbänder mit unseren Losungen an die eigenen Fenster und Balkone gehängt werden.
junge Welt: Was wiegt dann für Sie schwerer: der Schutz vor möglichen Coronainfektionen oder die Verteidigung des Versammlungsrechts?
Olaf Harms: Grundrechte so gegeneinander zu stellen, halte ich für vollkommen falsch. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit lassen es doch zu, aktiv zu werden, soweit die Bedingungen für den Infektionsschutz eingehalten werden. Insofern verstehe ich nicht, was in einzelnen Bundesländern geschehen ist, in denen das Versammlungsrecht mit Hinweis auf Corona ausgehebelt wurde. Hier sollten sich die Zuständigen in den Ministerien Urteile des Bundesverfassungsgerichts hinter den Spiegel klemmen.
junge Welt: Hat sich aufgrund der Pandemie die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Proteste am 1. Mai verändert?
Olaf Harms: Dem DGB-Motto »Solidarisch ist man nicht allein« kann nur zugestimmt werden. Es galt schon vor Corona, und es wird auch danach gelten. Nämlich dann, wenn die Frage aufgeworfen wird, wer denn eigentlich für die Hunderte von Milliarden, die derzeit im wesentlichen als Unterstützung an die Unternehmen gehen, geradestehen soll. In diesem Zusammenhang ist es doch unglaublich, dass milliardenteures Kriegsgerät angeschafft wird und die NATO auf weiterer Aufrüstung besteht. Und auch der seit kurzem verwendete Terminus der »neuen Normalität« macht mir angst. Das kann doch nicht heißen, dass die Veränderungen im Arbeitszeitgesetz – zum Beispiel die 60-Stunden-Woche, die Verkürzung der Ruhezeit oder die Möglichkeit der Sonntagsöffnung – dauerhaft Bestand haben sollen.
junge Welt: Welche Rolle spielen am 1. Mai Anhänger der faschistischen Kleinstpartei »Die Rechte«, die einen Aufmarsch in Ihrer Stadt angekündigt haben?
Olaf Harms: Ich hoffe, sie spielen keine Rolle und ihre Demonstration wird verboten. Neonazis versuchen schon seit Jahren, den 1. Mai für ihre menschenverachtende Politik zu vereinnahmen. Doch wir haben nicht vergessen, dass die Faschisten am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser gestürmt und später die Welt in einen Krieg mit unsagbarem Leid getrieben haben. Sollten die Rechten es dennoch wagen, werden wir ihnen auch an diesem 1. Mai entgegentreten.
Quelle: junge Welt