Eher mit Schulterzucken wurde von den Wirtschaftsmedien Anfang April die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) hingenommen, den Leitzins weiter bei null Prozent zu zementieren und auch an den vielfach als „Strafzinsen“ beschimpften 0,4 Prozent festzuhalten, die Banken an die EZB zahlen müssen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken.
Einige – unter anderem solche Konzerne wie die Allianz und andere große Gläubigerbanken – hatten auf eine Zinswende gehofft. So aber bleibt es aus ihrer Sicht bei der ungünstigen Situation, dass Kapital, das in die USA fließt, sich dort besser verzinst: Die dortige Federal Reserve Bank (FED) bleibt bei einer Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent. Auch jenseits des Kanals gibt’s bessere Zinsen – der Leitzinssatz in Großbritannien liegt bei 0,75 Prozent.
Die in der letzten Zeit fast schon im Monatstakt nach unten korrigierten Wirtschaftsprognosen aber haben die Luft für Zinserhöhungen in der Tat dünn gemacht. Denn bei einer Zinsanhebung werden Kredite teurer, das Investitionsvolumen wird eingeschränkt und die Konjunktur wird gebremst – keine gute Maßnahmen, wenn sie eh‘ immer lahmer dahintrottet. Die EZB will in dieser Situation offensichtlich das lahme Pferd der europäischen Wirtschaft nicht noch mehr zügeln – allen Tränen der Versicherungen und Banken über das Nullzinsniveau zum Trotz.
Weiter rückläufig ist auch die von den offiziellen Statistikern ermittelte Teuerungsrate – nach 1,5 Prozent im Februar ist sie mittlerweile im Euroraum auf 1,4 Prozent gesunken und bewegt sich damit gerade noch in dem von der EZB angestrebten Korridor von „knapp unter 2 Prozent“. Über diese Größe lässt sich streiten – Arbeiter und Angestellte, die in den großen Städten Deutschlands wohnen, haben angesichts der galoppierenden Mieten einen spürbar größeren Kaufkraftverlust zu verkraften. Das Inflationsziel „2 Prozent“ ist jedenfalls auch deshalb seit Jahrzehnten geübte Praxis, weil wirkliche Geldwertstabilität die Stellung der Gewerkschaften bei Lohnverhandlungen stärken würde: Jeder Lohnabschluss unter 2 Prozent nämlich wird so Reallohnverlust und stärkt die Stellung der Unternehmen, die sich bei moderater Inflation ihre eingesetzten Gelder über Preiserhöhungen wieder hereinholen können.
Im Starren auf die Handlungen der EZB oder der FED wird gelegentlich übersehen, für wie selbstverständlich inzwischen von den herrschenden Medien die Tatsache in den politischen Debatten durchrutscht, dass alle Handlungen – oder Nichthandlungen – der Notenbanken von allen demokratischen Erfordernissen, auf die die parlamentarische Demokratie so stolz ist, ausgenommen werden. Durch die Erlangung der Unabhängigkeit von allen Regierungen und Parlamenten sind die Notenbanken schon lange „kein Instrument des demokratische legitimierten Staates zur Kontrolle des Finanzmarktes“ mehr, wie Lucas Zeise in seinem jüngsten kleinen Büchlein „Finanzkapital“ zu Recht notiert. Vielmehr seien sie zu einem „Hebel geworden, mit dem die privaten Finanzinstitutionen die Kontrolle über Regierungen und Parlamente übernehmen“.
Statt gottesfürchtig auf die aktuelle Presseerklärung aus dem EZB-Turm zu warten, wie früher die alten Griechen auf den Spruch des Orakels zu Delphi oder Bauern und Fürsten des Mittelalters gemeinsam auf die Erklärungen des Vatikan, wäre es hohe Zeit, die Frage der Leitzinsen und anderer Maßnahmen der EZB überhaupt zu einem Gegenstand politischer Debatten zu machen.