Der ZDF-Film „Letzte Ausfahrt Gera“ verwandelt Beate Zschäpe in ein braunes Covergirl

„NSU“-Homestory

Von Klaus Wagener

Die Sendung wurde am 26.1. ausgestrahlt. In der ZDF-Mediathek: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2652984/Letzte-Ausfahrt-Gera#/beitrag/video/2652984/Letzte-Ausfahrt-Gera

Beate Zschäpe besuchte, immer vorausgesetzt, dass alles so stimmt, was uns Regisseur und Drehbuchautor Raymond Ley und seine Ko-Autorin Hannah Ley da näher zu bringen versuchen, im Juni 2012 ihre Oma in Gera. Damit dieses nur wenige Minuten dauernde Hallo möglich war, mobilisierte das BKA eine stattliche Truppe, die ihre unter Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung stehende Passagierin acht Stunden über die Autobahn chauffierte. Ohne Zeugen oder Anwälte. Die Rechtfertigung für diese nicht ganz unaufwendige „Dienstreise“ soll in dem Versuch gelegen haben, Frau Zschä­pe in der lockeren Atmosphäre einer Ausflugsfahrt – entgegen der ausdrücklichen Zusage an die Verteidigung, kein Verhör stattfinden zu lassen – Aussagen zum „NSU“ entlocken zu können.

Inwieweit dieser etwas extravagante Versuch, wenn er denn stattgefunden hat, ein realistischer Ansatz zur Tataufklärung war, sei dahingestellt. Dies angenommen, ist er gescheitert. Aber selbst wenn Frau Zschäpe geredet hätte, wozu wären diese gerichtlich nicht verwertbaren und in vielen Bereichen nur schwer bis nicht überprüfbaren Aussagen denn nütze gewesen?

Vorstellbar wären aber auch ganz andere Zielstellungen. Immerhin gibt es eine offenkundig massive Verwicklung der „Dienste“ in die rechtsradikale Mordserie. Die These von der Alleintäterschaft ist nicht ernsthaft haltbar. Der Film suggeriert eine Abschirmstrategie der verteidigenden Anwälte als Grund für Zschäpes Schweigen. Da könnte es auch andere Motive geben, nicht allzu viel Licht auf den braunen Terror und vor allem auf seine nicht nur private Unterstützerszene fallen zu lassen. Immerhin haben sich die „Dienste“ in ihrem Aufklärungseifer nicht gerade überschlagen. Nicht vor dem dubiosen „Selbstmord der beiden Uwes“ und auch nicht nachher. Und auch Schwarz-Rosa strotzt, trotz einiger wohlfeiler Bauernopfer, nicht gerade vor Tatendrang. Angesichts des nahezu konsequenzlosen rechten Terrors gegen Linke und Ausländer, einer beispiellosen Serie von über tausend weitgehend unaufgeklärten Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünften in einem Jahr, darf man wohl schließen, dass sich an der politisch-taktischen Ausrichtung der „Dienste“ wie auch der Polizei nicht viel geändert hat. Angesichts der spätestens mit dem NPD-Verbotsantrag aktenkundig gewordenen großflächigen Verfilzung von rechter Szene und Geheimdiensten dürfte auch im „NSU“-Verfahren eher ein Verschleierungs- als ein Aufklärungsinteresse anzunehmen sein. Möglicherweise weiß Frau Zschäpe ein paar für einige Leute sehr unangenehme Dinge.

Grundlage für Leys Film soll ein „Gedächtnisprotokoll“ darstellen, welches die „Verhörspezialisten“ nach ihrer Dienstfahrt anfertigten. Ein internes BKA-Dokument also, das die zentrale Angeklagte in einem laufenden, politisch hochbrisanten Verfahren berührt, wird mal eben, so aus Freundlichkeit, an einen Filmemacher weitergegeben?

Was aber motiviert diesen dazu, dieses „Protokoll“ dann völlig unhinterfragt zu einem „Doku-Drama“ zu verwursten? An dem in seiner spektakulären Eintönigkeit eines Kaffeekränzchen-Smalltalks sich dahinschleppenden Plot kann es ja kaum gelegen haben. Nun hat das mediale Hineingrätschen in eine laufende Gerichtsverhandlung ja Tradition. Gern, wenn sich der Spießer über die Sündhaftigkeit seiner Mitbürger entrüsten kann, aber auch bei politischen Prozessen, wie dem zum KPD-Verbot oder dem Stammheimer RAF-Prozess. Nur in eine andere Richtung.

Joachim Król probiert es als gemütlich Opi-hafter BKA-Beamter Troller mit dem Thema Wetter, mit dem Urlaub oder dem Fernsehprogramm bei Lisa Wagner, die eine unterkühlt-kontrollierte, zu dominanten Statements tendierende Beate Zschäpe verkörpert. Eine psychologisch ausgefeilte Verhörstrategie soll das gewesen sein, wie die im Film eingeschnittene (reale) Gerichtsreporterin des „Spiegel“, Gisela Friedrichsen, zu wissen glaubt. Erfolglos. An Lisa Wagners überlegen lächelnder Beate Zschäpe tropft dieser Dilettantismus wirkungslos ab.

Ley versucht seine nervenzerfetzende Story mit Einblendungen aus dem (fiktiven) Gerichtssaal und aus dem (völlig aus der Luft gegriffenen) Binnenverhältnis des Mord-Trios aufzupeppen. Aber verharrt auch hier völlig im Individuell-Emotionalen. In der Konfrontation einer unangreifbaren Terror-Heroine (ein Fanbrief des norwegischen Massenmörders Anders Breivik wird eingebaut) mit den hilflosen Appellen ihrer Opfer. Und den Intimitäten, „Schuhe aus!“, aus der „Terrorzelle“. Eines zumindest bleibt komplett im Dunkeln, all das, was eine Beate Zschäpe und einen „NSU“ überhaupt erst möglich gemacht hat.

Die Qualitätsmedien haben fast ausnahmslos diesen menschelnden Ball aufgegriffen. Die Stilisierung der stummen Zschäpe zu einem rätselhaften, langhaarig-attraktiven braunen Covergirl, mit dem man entspannt über das Wetter, den Urlaub und das Fernsehprogramm klatschen möchte, ist in vollen Gange. Die Maischbergers warten schon. Die menschelnde Psychologisierung der Beate Zschäpe entsorgt die politische Brisanz einer jahrzehntelangen rechten Mordserie unter der offenkundigen Abdeckung der „Dienste“. Und nach „Köln“ lässt sich für die schon wieder die nächste Ermächtigung fordern.

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"„NSU“-Homestory", UZ vom 5. Februar 2016



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