Zur Diskussion über Begriffe und ihre Folgen

„Notstand“? Immer von Übel!

In der UZ vom 3. Januar 2020 war über „Unverständnis“ zum „Klimanotstand“ zu lesen, doch wurde nicht Verständnis gefördert, sondern dem Missverständnis das Wort geredet, dass es sich „um ein unbedingt brauchbares Symbol handelt“. Das war Ergebnis des Versuchs, die Definition aus dem Online-Lexikon „wikipedia“ zu erschließen, und auch nur aus deren erstem Satz. Wenn man diesen irgendwie mit Klima „frei assoziiert“, ist der Erkenntnisgewinn bescheiden. Die durch einen Notstand gerechtfertigte „Straftat zur Abwendung einer Gefahr“ und auch die hier „passend“ genannte „Abwendung einer Gefahr auf Kosten fremder Interessen“ entstammen dem Zivil- und Strafrecht, beim Thema Klima und Notstand hingegen befinden wir uns im Staats- und Verfassungsrecht. Dazu könnte man sogar bei „wikipedia“ lesen, „dass die öffentliche Gewalt auf ihre Bindung an Gesetz und Recht insoweit verzichten kann, wie sie es zur Bekämpfung des Notstandes für erforderlich hält“.

Das soll also ein „brauchbares Symbol“ sein, wenn sich die Obertanen nicht mehr an Recht und Gesetz halten müssen? Brauchbar ja, zur Warnung, als abschreckendes Symbol – aber kein Zustand, den die Untertanen, schon gar nicht die linken unter ihnen, bejubeln und herbeisehnen können. Wer die Forderung nach Ausrufung eines „Klimanotstandes“ unterstützt, scheint die fatalen Konsequenzen nicht zu überblicken. Ein Not- oder Ausnahmezustand bedeutet die Suspendierung des Rechts und trifft in erster Linie jene, die dieses Schutzes besonders bedürfen: die Unterprivilegierten, Ausgebeuteten, Armen, Machtlosen. Abschreckende jüngste Beispiele: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begründete der „US Patriot Act“ den „permanenten Ausnahmezustand“, der Ausnahmezustand nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 dauerte bis Juli 2018, in Frankreich wurde nach den Anschlägen 2015 der Ausnahmezustand 2017 per Gesetz zum „Normalzustand“.

Vom Römischen Recht über den Kirchenlehrer Thomas von Aquin bis zum Code Napoléon, der zwischen „militärischem“ und „politischem Belagerungszustand“ unterschied, zieht sich der Ausnahmezustand durch die Geschichte. Die US-Präsidenten Lincoln und Wilson regierten mit Ausnahmevollmachten, und Roosevelt nutzte sie zur Durchsetzung seines „New Deal“. Schon drei Jahre vor Hitlers Machtantritt war Deutschland faktisch keine parlamentarische Demokratie mehr, sondern eine Präsidialdiktatur. Nazi-Staatsrechtler Carl Schmitt fand es positiv, dass „der Staat bestehen bleibt, während das Recht zurücktritt“. Die Lehre der Geschichte: eine „geschützte“ Demokratie ist keine, sondern führt zu einem totalitären Regime. Folglich kannte das Grundgesetz keinen Ausnahmezustand, bis 1968 für den sogenannten „inneren Notstand“ die Notstandsgesetze beschlossen wurden, nicht mehr zur Rettung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sondern zur Verteidigung der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Linke kämpften damals gegen diesen „Notstand der Demokratie“, dann gegen die Berufsverbotepraxis, heute gegen den Abbau demokratischer Rechte durch Totalüberwachung im Netz und verschärfte Polizeigesetze.

Offenbar soll die Erinnerung an diese Kämpfe und linke Traditionen getilgt werden. Einem Dressurakt gleich, wird man an das Wort „Klimanotstand“ gewöhnt, bis es alltäglich und „unschuldig“ erscheinen soll. Gegen diese „Gewöhnung“ müssen alle Menschen mit wachem historischen und Rechtsbewusstsein klarmachen: Sondervollmachten für eine Exekutive sind immer vom Übel, da sie jene von der Bindung an die Rechtsordnung befreit. Es gilt, Widerstand zu organisieren, gegen den autoritären Kapitalismus und den weiteren Ausbau des totalitären Sicherheitsstaates.

Ginge es um die Sache, können Städte und Gemeinden – auch ohne verquere Notstands-Symbolik – ökologische Aktionspläne zur Verbesserung der Lebensqualität beschließen, egal wie das Wetter wird: Windschneisen nicht abriegeln und Kaltluftentstehungsgebiete nicht zubauen, auf Renditeprojekte wie „Wohnen am Fluss“ verzichten, Flächenversiegelung zurückbauen, großzügig Grünflächen anlegen, Biotope vernetzen, Bäche aus der Verrohrung befreien und Flussläufe renaturieren, Dach- und Fassadenbegrünung sowie Verzicht auf modisch geschotterte Vorgärten, nicht zuletzt: ein bezahlbarer und flächendeckender öffentlicher Nahverkehr.

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"„Notstand“? Immer von Übel!", UZ vom 24. Januar 2020



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