Vorabdruck aus:
POSITION – Magazin der SDAJ
5–2016
POSITION beziehen: bei der örtlichen SDAJ-Gruppe oder im UZ-Shop.
Es ist 10 Uhr morgens, als António* die Ambulanz der Uniklinik betritt. Er hat sich mit der Axt an der Hand verletzt, die Wunde schmerzt. Menschen sitzen herum, warten, bis ihre Nummer aufgerufen wird. Notfälle sind davon ausgenommen. Die dürfen direkt durchgehen zu Schalter 1, der nur leider unbesetzt ist. António wartet, starrt Löcher in die Luft, die Schmerzen werden schlimmer. Irgendwann wird an Schalter 2 eine Nummer aufgerufen. Der Mann, der dran wäre, ist freundlich, lässt ihn vor. „Ich war zwar immer noch in Jogginghose, aber immerhin hatte ich an meine Versichertenkarte gedacht“ sagt António schmunzelnd. „Darum ging es zuallererst. Dann noch drei Zettel unterschreiben, für die das Lesen alleine zehn Minuten dauert, und zwischendurch die Frage, was ich eigentlich habe.“ Danach geht es plötzlich schnell, ab in den Röntgenraum, nach wenigen Minuten steht fest: die Hand muss operiert werden. Gegen 14 Uhr sei er dran, essen und trinken dürfe er bis nach der OP nichts, wird ihm eingeschärft. Es wird 14 Uhr, dann 16 Uhr. Die Hand schmerzt und der Magen knurrt. Die Stunden vergehen, der Warteraum füllt sich. „Kaum einer, der dort ankam, musste weniger als zwei Stunden auf die Behandlung warten“, sagt António. Erst um Mitternacht, nach 14 Stunden ohne Nahrung, dafür mit Schmerzen, kann er mit frisch operierter Hand die Klinik verlassen.
Mir gibt das zu denken. Vor zwei Jahren war ich für ein paar Monate verbeamtet. Und, weil das so billiger war, in dieser Zeit auch privat versichert. Musste ich vorher wochen- und manchmal monatelang auf einen Arzttermin warten, bekam ich auf einmal immer sofort einen Termin, oft noch am selben Tag. Und da ging es nicht um einen Notfall. Das macht mich stutzig.
Geboren als KassenpatientIn?
Ich unterhalte mich mit Clara* über das Thema. Sie macht eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin, befindet sich am Ende ihres ersten Lehrjahres und hat schon einige Praxiseinsätze hinter sich. Ich frage nach: Kann das sein, dass Menschen im Krankenhaus unterschiedlich – und zwar unterschiedlich gut – behandelt werden, je nachdem wie sie versichert sind? Clara lacht nur. „Oh ja, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. In meinem ersten Einsatz ist mir das besonders aufgefallen. Da war ich auf der Geburtenstation eingeteilt. Auf der für die Normalen, die Kassenpatienten. Aber ab und zu musste ich doch mal rüber auf die Privatstation. Komfortstation nennt man die.“ Auf meine Frage, worin sich die Unterschiede am deutlichsten zeigen, zögert Clara zunächst. „Eigentlich merkt man das an fast allem. Auf der Komfortstation, das ist fast wie im Hotel. Aber am krassesten finde ich den Unterschied in der Betreuung und beim Essen. Dort bekommen die Patienten viel höher wertiges Essen. Es gibt zum Beispiel guten Käse und viele Gerichte mit frischem Gemüse. Davon können die Frauen auf der normalen Station nur träumen.“
Auch sonst sei auf der Privatstation vieles anders, vieles besser. Die Frauen dort haben beispielsweise immer Zugang zu frischem Obst, können zwischen mehreren Tageszeitungen wählen und im Besucherraum gebe es einen kostenlosen Kaffeevollautomaten. Aber die Verpflegung sei nicht das einzige. „Gerade für die Mütter, die wir auf Station hatten, wäre Ruhe das allerwichtigste gewesen. Ruhe und Zeit, sich zu erholen. Außerdem braucht man Leute, die den Frauen helfen, mit dem Baby zurecht zu kommen, die ihnen zeigen, wie das mit dem Stillen funktioniert und so weiter. Aber daran war gar nicht zu denken. Wir hatten viel zu wenig Personal, eine Hebamme hat acht oder mehr Frauen betreut und die Pfleger und Ärzte standen selbst kurz vor dem Zusammenbruch. Auf der Komfortstation ist auch die Betreuung eine ganz andere. Da betreut eine Hebamme nicht halb so viele Frauen gleichzeitig, es gibt insgesamt viel weniger Betten und trotzdem nicht weniger Personal. Da ist es ruhig und schön, man kann sich wohlfühlen und wirklich erholen.“
Worst case: Keine Versicherung
Der Klinik geht es darum, so viel Geld wie möglich zu verdienen. Und Privatpatienten bringen nun mal deutlich mehr Profit ein als Kassenpatienten. Die Gesundheit der Menschen scheint da oft erst an zweiter Stelle zu stehen. Besonders schlecht stehen diejenigen da, die gar keine Versicherung haben. „Wir hatten sehr viele Flüchtlingsfrauen auf der Station. Die waren mit Abstand am schlechtesten dran, an denen verdient man ja auch nicht so viel, einige von ihnen waren gar nicht versichert“, sagt Clara nachdenklich. „Da kam dann schon nach der minimalen Aufenthaltszeit die Ansage, die Frauen möglichst schnell los zu werden. Meine Kolleginnen mussten das dann umsetzen. Dabei wussten wir alle, dass die Frauen keinen Platz haben, wo sie mit ihrem Baby hingehen können.“ Clara redet sich in Rage. „Viele der Frauen konnten wenig oder gar kein Deutsch. Aber ihnen wurde nicht einmal ein Dolmetscher zur Seite gestellt. Meine Kollegin war so verzweifelt, sie hat schon laut darüber nachgedacht, eine junge Frau mit zu sich nach Hause zu nehmen. Man setzt doch eine junge Mutter kurz nach der Entbindung nicht einfach so auf die Straße. Das ist wirklich unfassbar!“
Es ist unfassbar und auch ich kann nur den Kopf schütteln. Aber es ist Alltag im kapitalistischen Deutschland. Gesundheit ist eine Ware. Und frei nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird genommen“, funktioniert auch das System der Krankenversicherungen. Wer nicht verbeamtet oder selbstständig ist und weniger als 4 687,50 Euro monatlich verdient, muss sich gesetzlich versichern. Alle anderen dürfen sich privat versichern und erhalten eine entsprechende Komfortbehandlung. Doch gerade denjenigen, die eine gesundheitliche Versorgung am nötigsten haben, fehlt häufig das Geld für die teuren Behandlungen. Wir können hier also definitiv von einem 2-Klassen-System der Krankenversicherungen sprechen.
*Namen von der Redaktion geändert