ver.di will umbauen. Nach der Zusammenlegung von Bezirken sollen aus dreizehn Fachbereichen (FB) vier werden. Dazu einige Gedanken von mir als Ehrenamtlichem aus dem FB 9 und dem Ortsvorstand in einer 50 000-Einwohner-Stadt mit ländlichem Hinterland. Dies sei erwähnt, da ein anderes Umfeld auch zu anderen Gedanken führen mag.
Zunächst: die Gewerkschaft ver.di ist kein Konzern wie die Telekom, der jährlich drei Mrd. Euro Dividende ausschüttet. Man muss mit den Beiträgen auskommen. Und wenn die Gewerkschaftsmitglieder dort, wo sie arbeiten, zunehmend prekär beschäftigt und schlecht bezahlt werden, dann drückt das auch die Beitragseinnahmen. Skepsis besteht bezüglich der Zusammenlegung von Bezirken auch deshalb, weil für viele mehr Reiseaufwand entsteht, was von voll im Berufsleben Stehenden kaum noch zu bewältigen ist.
Wer die ver.di-Gründung miterlebte, weiß, weshalb Strukturen mit dreizehn Fachbereichen geschaffen wurden. Die kleineren Gewerkschaften wollten und sollten sich mit ihrer Tradition und Fachlichkeit auch organisatorisch wiederfinden und nicht in einer vergrößerten ÖTV untergehen. Da war es z. B. für die früheren Postgewerkschafter wichtig, nicht nur aus Gewohnheit auf der vierten, der untersten Ebene eigene Kassen zu haben. Nicht zusätzlich, sondern zu Lasten der Personalschlüssel ihres FB.
Wenn heute dann unter Umständen in zwei Bundesländern 1 ½ Sekretäre einen FB beackern, werden vor allem außerhalb von Ballungsgebieten Grenzen deutlich. Hier Fachbereiche zu vereinen und größere Einheiten zu schaffen, erscheint sinnvoll. Auch wie die Gliederung gemacht wird, erscheint sinnvoll. Das Gesundheitswesen bliebe als wachsender Bereich mit großem Potenzial selbstständig. Handel, Post und Logistik wachsen auch in der Praxis zusammen. Ein Fachbereich repräsentierte im Wesentlichen den Öffentlichen Dienst, ein weiterer private Dienstleistungen in Bereichen, die immer mehr durch die Digitalisierung geprägt sind.
Die Musik spielt bei ver.di vorrangig in den Betrieben, in denen Betriebs-, Personalräte und Mitarbeitervertretungen sowie Vertrauensleutestrukturen zumindest möglich sind. Aber man muss auch in die Bereiche hinein, wo zwanzig oder weniger Menschen beschäftigt sind. Dazu bedarf es auf der vierten Ebene, sowohl in den FB als auch in der Gesamtorganisation, arbeitender Zusammenschlüsse. Ehrenamtlichkeit kann sich nicht darauf beschränken, dass in Gremien höherer Ebenen überwiegend freigestellte Betriebs- und Personalräte aktiv sind. Wo vor Ort an der Basis zu wenig läuft, weil zwar auf Bezirksebene zahlenmäßig genügend Aktivisten vorhanden, die Fahrtstrecken aber zu groß sind, bedeuten größere FB neue lokale Chancen.
Betriebliche und gesellschaftspolitische Kämpfe werden nicht mehr alleine in den „großen Buden“ gewonnen werden. Deshalb wird die zu oft brach liegende Arbeit der Ortsvorstände wichtiger. Hier wird sich aber zu wenig tun, wenn nicht auch hauptamtliche Ressourcen zu deren Stärkung bereitgestellt werden, damit ver.di im öffentlichen Bewusstsein vor Ort ein Faktor wird, der betriebliche Kämpfe von außen, auch in den Medien unterstützt, ins politische Geschehen eingreift und als Ansprechpartner der abhängig Beschäftigten, auch der Mitglieder in Kleinbetrieben, präsent ist. Ohne Ressourcen, die – siehe oben – zwangsläufig zu Lasten der FB gehen, wird sich hier wenig bewegen. Wird das jetzt nicht angegangen, ist es 2022 vielleicht zu spät. Wer will dann schon wieder umbauen?
Nicht aus Selbstsucht, sondern weil man nie und nirgends genug Personal haben wird, um allen Anforderungen der Mitglieder an Hauptamtliche gerecht zu werden, werden die FB dann ihre „Bestände“ gegen die „Ebene“ verteidigen. Das Ziel von ver.di, eine ehrenamtlich geführte Gewerkschaft der aktiven Mitglieder zu sein, steht und fällt auch mit dem realen Sein oder Nichtsein der 4. Ebene. Gute Erfahrungen des DGB mit seinen ehrenamtlichen Kreisvorständen könnten hier einfließen.