Noch nicht einmal Bono

Melina Deymann zum „Venezuela Aid Live“ in Kolumbien

„Venezuela leidet. Vor nicht so langer Zeit war es das reichste Land in Südamerika. Jetzt steht es vor der größten humanitären Krise in der westlichen Hemisphäre …“ Nach einem fröhlichen „Hola amigos“ versucht der sonnenverbrannte Milliardär Richard Branson (laut Wikipedia „Unternehmer und Philanthrop“) besorgt in die Kamera zu schauen, sein vor Mitleid blutendes Herz zu zeigen und die „Wahrheit“ über Venezuela zu verkünden.

Der Virgin-Gründer hatte zum „Venezuela Aid Live“-Konzert im kolumbianischen Cúcuta gerufen, um innerhalb von 60 Tagen 100 Millionen US-Dollar für „die notleidende Bevölkerung Venezuelas“ zu sammeln, denn die Bevölkerung „spürt die Auswirkung“. Die Auswirkungen der US-Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela wird Branson dabei nicht gemeint haben, vielmehr beruft er sich darauf, von Putschpräsident Juan Guaidó und dessen Parteifreund, dem zu Hausarrest verurteilten Leopoldo López, gebeten worden zu sein, ein „wunderschönes Konzert“ zu organisieren. Während beim originalen „Aid Live“-Konzert 1985 in mehr als 16 Stunden auf zwei Bühnen im Londoner Wembley-Stadion und im John F. Kennedy Stadium in Philadelphia die internationalen Top-Stars der Musikszene auftraten, sah die Beteiligung auf der schnell zusammengezimmerten Bühne in Cúcuta dann doch eher mau aus. Noch nicht einmal Bono war gekommen, und vor dem ist normalerweise kein Charity-Event sicher.

Aber anscheinend zieht es doch mehr, wenn Bob Geldof Geld für verhungernde Kinder in Afrika sammelt, als wenn Richard Branson mit einem Möchtegernpräsidenten um Unterstützung für einen Putsch bettelt. Da kann Moderatorin Lele Pons (eine in Venezuela geborene Youtuberin, deren Eltern mit ihr kurz nach der Bolivarischen Revolution in die USA emigrierten) in der Werbung noch so oft den gleichen Text wie Branson vorlesen, „die größte humanitäre Krise in der westlichen Hemisphäre“ sieht anders aus.

Die von Branson angekündigte Teilnahme Peter Gabriels fand unkommentiert nicht statt, Manu Chao dementierte Berichte über einen geplanten Auftritt mit „Das sind falsche Informationen!“. Ex-Pink-Floyd Roger Waters zog sich den Zorn der bürgerlichen Presse zu, als er sich in mehreren Twitter-Videos gegen das Konzert wandte und klar Ross und Reiter benannte: „Wollen wir wirklich, dass Venezuela zu einem neuen Irak, Syrien oder Libyen wird? Ich nicht, und das venezolanische Volk auch nicht.“

So fand das Konzert dann mit regionalen Stars und Sternchen statt, ob Luis Fonsi sein unerträgliches „Despacito“ trällerte, ist nicht sicher, der versprochene Livestream, der die Menschen weltweit an diesem Paradestück des menschlichen Mitleidvermögens teilhaben lassen sollte, brach immer wieder zusammen. Das Auftakt-Interview mit Branson war immerhin noch zu sehen – für 79 Zuschauer, dumm, dass man bei Youtube-Livestreams sehen kann, wie viele noch dabei sind.

So ging es dann vielleicht doch an der Welt vorbei, was Branson zu verkünden hatte. Es sei ein magischer Tag, grinste er in die Kamera, mit dem Konzert würden, in Anspielung auf die nicht offene Grenzbrücke, „Brücken der Hoffnung erbaut“, und dann rutschte ihm fast doch noch raus, wozu das Konzert eigentlich dienen soll: „Unter dem Schirm des Konzerts können wir versuchen, Vorräte nach Venezuela zu bringen.“ Also die Staatsgrenze zu verletzen und Guaidó und den USA die Bilder zu liefern, die sie so dringend brauchen, um eine Rechtfertigung für militärisches Eingreifen vorweisen zu können.

Wer sich übrigens trotz aller Bemühungen Bransons, das Ganze als reinen, unpolitischen Charity-Event dastehen zu lassen, eher an musikalische Regime-Change-Bemühungen der späten 80er Jahre erinnert fühlt, liegt nicht so ganz falsch.

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"Noch nicht einmal Bono", UZ vom 1. März 2019



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