Für die deutsche Bundesregierung ist es kein guter Tag gewesen. Letzten Donnerstag gab der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Klage der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik wegen dauerhafter Überschreitung der Nitratgrenzwerte im Grundwasser statt. Vorerst muss die Bundesregierung nur die Verfahrenskosten tragen. Ob es künftig zu empfindlichen Strafzahlungen kommt, bleibt offen.
Die Luxemburger Richter stellten fest, Deutschland habe über Jahrzehnte gegen die seit 1991 erlassene EU-Grundwasserverordnung verstoßen. Höchstens 50 Milligramm Nitrat sind pro Liter erlaubt. Ein Bericht der EU-Kommission belegte erst jüngst wieder: An 28 Prozent der rund 700 Grundwassermessstellen wird der Wert überschritten. Das Umweltbundesamt kam im letzten Jahr zu einem ähnlichen Ergebnis. Laut dessen Untersuchungen genügt die Wasserqualität an 27 Prozent der Messstellen nicht den Anforderungen. Eine zu hohe Konzentration an Nitrat im Grundwasser hat für Mensch und Umwelt negative Auswirkungen. Die Stickstoff-Verbindung kann beispielsweise schwere gesundheitliche Probleme auslösen. Im Magen können sich daraus Nitrosamine bilden, die im Verdacht stehen, Krebs zu verursachen. Bei Säuglingen können sie zudem den Sauerstofftransport im Blut behindern.
Hauptverursacher der Nitratbelastung ist die Landwirtschaft. Betroffen sind vor allem Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und einige Gegenden in Bayern. Besonders in Regionen mit intensiver Tierhaltung sind die erhöhten Nitratwerte zu finden. Die Bauern kippen zu viel Kunstdünger und Gülle aus der Massentierhaltung auf die Äcker. Allein in Niedersachsen wurden zuletzt knapp 60 Millionen Tonnen Flüssigmist im Jahr auf den Feldern verklappt. Hinzu kommen Reststoffe aus den Biogasanlagen. In den letzten Jahren hat sich zudem ein regelrechter Gülletourismus entwickelt. Der von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene „Fleischatlas 2018“ zeigt, dass die Bundesrepublik seit 2012 in steigendem Maße Gülle aus den Niederlanden importiert. 2016 waren es weit mehr als zwei Millionen Tonnen. Der in Gülle und Kunstdünger enthaltene Stickstoff ist für das Pflanzenwachstum unverzichtbar. Wird zuviel auf den Acker ausgebracht, kann er nicht vom Boden aufgenommen werden und gelangt in das Grundwasser.
Seit Jahren schlagen die Wasserversorger Alarm. Bislang behelfen sie sich damit, das belastete Wasser mit unbelastetem zu mischen. Teilweise wurde es aus anderen Gegenden mit Fernleitungen herangeschafft. In der Region Oldenburg, wo die größten Tiermastanlagen stehen, haben die Wasserversorger schon Felder gekauft oder gepachtet, um ihre Brunnen vor der Gülle zu schützen. In hochbelasteten Regionen wird das aber künftig nicht mehr ausreichen, um den Nitratwert im Trinkwasser niedrig zu halten. Das Umweltbundesamt (UBA) teilte im letzten Jahr mit, dass in einigen Gebieten das Grundwasser bald zusätzlich gereinigt werden muss. Einer Studie zufolge fallen dabei bis zu 767 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr an. Der Preis für Trinkwasser könnte dadurch um rund 45 Prozent steigen. Eine vierköpfige Familie bezahlt in diesem Fall bis zu 134 Euro mehr im Jahr.
Im Frühjahr 2017 wurde das deutsche Düngerecht novelliert. Damit sollte einer weiteren Verschmutzung des Grundwassers Einhalt geboten werden. Genutzt hat es wenig. Das geht aus einem Gutachten des Kieler Agrarwissenschaftlers Friedhelm Taube hervor. Die Regeln lassen zu viele Schlupflöcher, sagte er in einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ (21.6.2018). Hauptgrund für die Unwirksamkeit des neuen Düngerechts ist demnach die „weitgehende Missachtung aller agrar- und umweltwissenschaftlichen Fachempfehlungen“. Im Ergebnis durfte gebietsweise sogar mehr Gülle auf die Felder gebracht werden – selbst in „gefährdeten Gebieten“. Die Obergrenze von 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar darf durchaus überschritten werden. Taubes Fazit: Da kaum ein Bauer mit Sanktionen rechnen muss, ist auch keine Besserung zu erwarten. Zu fordern ist die Verringerung der Tierbestände. Nur wenn weniger Tiere gehalten werden, sinkt auch die Menge an Gülle und damit die massive Überdüngung in vielen Regionen. Die Fleisch- und Düngerkonzerne müssen in die Pflicht genommen werden. Sollte Deutschland zu Strafzahlungen in Milliardenhöhe verurteilt werden, müssten die Unternehmen zur Kasse gebeten werden und das übliche Verfahren, die Kosten auf die Verbraucher abzuwälzen, muss verhindert werden.