Zum Internationalen Tag gegen Polizeigewalt

Nirgendwo Gerechtigkeit

Seit 1976 dokumentiert die Zeitschrift „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ Todesfälle durch polizeilichen Schusswaffengebrauch in der BRD. Mindestens 483 Menschen haben Polizisten seitdem erschossen. Viele weitere fielen anderen Formen von Polizeigewalt zum Opfer. Ante P. etwa, der am 2. Mai 2022 in Mannheim starb, nachdem zwei Polizisten ihn mit Pfefferspray angegriffen und mit Fäusten auf ihn eingedroschen hatten.

Der Internationale Tag gegen Polizeigewalt wurde 1997 von der Schweizer Organisation Black Flag und dem kanadischen Collectif Opposé à la Brutalité Policière (C.O.P.B.) ins Leben gerufen nach einem besonders brutalen Polizeieinsatz in der Schweiz, der zwei Kinder im Alter von 11 und 12 das Leben kostete. Er wird am 15. März begangen. In der BRD steht der Tag gegen Polizeigewalt seit 2015 im politischen Kalender. Hier wurde er von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) angestoßen. In diesem Jahr finden Aktionen in Berlin, Bielefeld, Bonn, Frankfurt am Main, Hamburg, Leipzig und Mannheim statt.

Seit 2018 steigt die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte wegen rechtswidriger Gewaltausübung laut Staatsanwaltschaftsstatistik des Statistischen Bundesamts. Dabei erstatten die wenigsten Opfer solcher Polizeigewalt Anzeige. Wissenschaftler schätzen das Dunkelfeld als um ein Vielfaches größer ein als das Hellfeld: Im Jahr 2021 etwa erledigten Staatsanwaltschaften 2.790 Ermittlungsverfahren wegen rechtswidriger Gewaltausübung gegen Polizisten.

In ihrer Studie „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen: Viktimisierungsprozesse, Anzeigeverhalten, Dunkelfeldstruktur“ (2023) haben Laila Abdul-Rahman, Hannah Espín Grau, Luise Klaus und Tobias Singelnstein ermittelt, dass überwiegend männliche Polizisten im Alter bis 30 Jahre Gewalt anwenden. Überproportional häufig sind Menschen mit Migrationshintergrund von dieser Gewalt betroffen. Die Wissenschaftler nennen Schläge und Stöße als häufigste Form der Gewalt. Bei Großveranstaltungen wie Demonstrationen und Fußballspielen spielt der Einsatz von Pfefferspray und Wasserwerfern eine erhebliche Rolle. 19 Prozent der im Rahmen der Studie befragten Opfer von Polizeigewalt gaben zu Protokoll, schwere Verletzungen davongetragen zu haben. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist erhöht, wenn Polizisten ihre Opfer würgen, fesseln oder fixieren.

Opfer von Polizeigewalt sehen meist von einer Strafanzeige ab, weil Täter schwer zu identifizieren sind, objektive Beweise fehlen, sie Angst vor Repressionen haben und die Erfolgsaussichten im Strafverfahren gering sind. Selbst Rechtsanwälte raten häufig davon ab, Anzeige zu erstatten. 93 Prozent der abgeschlossenen Strafverfahren wegen rechtswidriger Gewaltausübung gegen Polizisten wurden 2021 „mangels hinreichenden Tatverdachts“ eingestellt. 4 Prozent dieser Verfahren wurden gegen Auflagen oder wegen Geringfügigkeit eingestellt. Nur in 2 Prozent der Fälle erheben Staatsanwaltschaften Anklage.

Selbst dann kommen die Täter oft ungeschoren davon. Ein aktuelles Beispiel ist der jüngst abgeschlossene Prozess gegen die zwei Polizisten, die Ante P. töteten: 6.000 Euro Geldstrafe für den einen, Freispruch für den anderen. Die „Begründung“ des Richters: Die konkrete Todesursache lasse sich nicht aufklären. Es gibt mehrere Videos von Zeugen, die klar zeigen, wie brutal die Beamten vorgingen. Ante P.s „Vergehen“: Er hatte eine psychiatrische Klinik entgegen dem Rat seines Arztes verlassen.

Immer deutlicher zeigt sich, dass tödliche Polizeigewalt in erster Linie eine Klassenfrage ist. Die allermeisten Opfer solcher Gewalt nämlich sind von Armut betroffen, auf Sozialleistungen angewiesen oder schlagen sich mit prekären Jobs durch. Viele von ihnen – drei Viertel, schätzt der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes – befinden sich in psychischen Ausnahmesituationen.

Armut und Verelendung nehmen zu. Der Kampf gegen Polizeigewalt reiht sich ein in den für Heizung, Brot und Frieden.

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