Was wir vom Kampf der kanadischen Postler lernen können

Niemand bleibt allein

Tim Laumann

Die kanadische Gewerkschaft der Postarbeiter (Canadian Union of Postal Workers – CUPW) befindet sich in den Abwehrkämpfen gegen Privatisierung und Prekarisierung. Über einen Monat lang streikten zehntausende Postler zuletzt im November und Dezember 2024, bevor die Regierung intervenierte und ein faktisches Streikverbot erließ. Die Streikenden fordern Lohnerhöhungen, die die Preissteigerungen ausgleichen. Innerhalb der Gewerkschaft CUPW fand und findet eine scharfe Auseinandersetzung darüber statt, wie die Kämpfe zu führen sind.

Kampf um Gleichstellung

Dabei blicken die kanadischen Postarbeiter auf eine stolze Tradition des Klassenkampfes zurück: 1974 boykottierten und bestreikten sie die Post, steigerten den Kampf bis zum national geführten Streik und konnten so gleichen Lohn auch für die Arbeiterinnen durchsetzen. Es waren meist Frauen, die an den Postcode-Maschinen arbeiteten. Später, 1981, setzten die Postarbeiterinnen und -arbeiter in einem 42 Tage dauernden Streik den bezahlten Mutterschutz durch.

Auch in der BRD arbeiten in den maschinierten Briefzentren weitgehend Frauen – fast ausschließlich in Teilzeit und in der niedrigsten Lohngruppe. Das allein reicht nicht zum Leben. Die Frauen arbeiten als Zuverdienerinnen, sie sind abhängig von ihren Männern.

Offiziell existieren solche „Frauenlohngruppen“ nicht mehr. Gewerkschaftliche Frauenarbeit müsste sich zum Ziel setzen, den Kampf für die Abschaffung dieser real existierenden Lohngruppen zu führen. Die Realität sieht jedoch anders aus: ver.di-Funktionäre verteilen stattdessen Mini-Taschen in Erdbeerform an die Kolleginnen in den Postzustellstützpunkten.

Gegenprogramm

Zurück nach Kanada: 2010 erarbeitete die CUPW das Gegenprogramm „Die Zukunft der kanadischen Post“, um den Rückgang an Dienstleistungen aufzuhalten. Die Gewerkschaft geht dabei von den gemeinsamen Interessen der Menschen vor allem auf dem Land aus.

Auch dieser Kampf sollte uns eine Inspiration sein, anstatt hinzunehmen, dass die DHL Postfilialen ohne Ende schließt.

In das gleiche Jahr fällt ein eintägiger Streik gegen den Versuch, die Arbeit zu verdichten. Die Arbeitsverdichtung erhöhe die Unfallgefahr, so die CUPW. Als ein Arbeiter abgemahnt werden soll, weil er die neuen Arbeitsmethoden nicht anwenden will, stellen sich seine Kollegen hinter ihn. Es breitete sich eine Welle von Arbeitsverweigerungen auf, die überall im Land zu Streiks gegen die neuen Bedingungen führte. Die Postgewerkschaft stellte sich hinter die Kollegen, weitete die Aktionen zu einer Kampagne aus und erzwang die Rücknahme einiger der unsicheren Arbeitsanweisungen. Auf den Streik reagierte die kanadische Regierung mit einer „Zurück zur Arbeit“-Gesetzgebung.

2016 erarbeitet die Postgewerkschaft ein ganzes Programm zur flächendeckenden Versorgung aller Gemeinden mit allen Dienstleistungen der kanadischen Post. „Liefern wir den Gemeinden Macht“ hieß die Kampagne, die sich gezielt mit den abgedrängten Gemeinden der unterdrückten Ureinwohner und der Arbeiterviertel der Großstädte solidarisierte, indem dort Jobs geschaffen und Infrastruktur erhalten werden sollte.

2018: Kampf dem Streikbruch-Zwang

Das Paketaufkommen steigt – in Deutschland wie in Kanada. Hierzulande wird die Unternehmerpropaganda häufig geschluckt und darauf verwiesen, dass man keine jungen Leute finde. Gleichzeitig werden diese durch eine brutale Aussortiermaschinerie wieder herausgedrängt, wenn sie den „Ansprüchen“ nicht genügen. Wer auf die Arbeitssicherheit oder seine Gesundheit achtet oder Bezirke, auf deren Größe und Beschaffenheit sie keinerlei Einfluss haben, nicht schafft, hat schlechte Chamcen. In Kanada streikte die CUPW sogar dafür, dass mehr Personal eingestellt wird. Die Gewerkschaft argumentierte dabei richtigerweise, dass es das Problem der Kapitalseite sei, die Bedingungen und Bezahlung so zu verbessern, dass mehr Leute gewonnen und gehalten werden könnten.

Die Gewerkschaft legte Tarifverhandlungen und Streiks in die Zeit des Jahres, in der es der Kapitalseite weh tut – die Verhandlungen begannen am 22. Oktober – und streikten, ohne sich um die Gegenseite und deren Gejammer zu scheren, bis in den November. Für Deutschland, wo die „Sozialpartner“ die Verhandlungen gerade in die Zeit nach dem sogenannten Starkverkehr legen, eine spannende Erkenntnis: Terminfragen sind Machtfragen. Wer den Termin nach Gusto seines Gegners legt und den Kolleginnen und Kollegen erklärt, dass im Starkverkehr keine Aktionen geplant seien, weil sie mit dem erhöhten Arbeitsaufkommen genug zu tun hätten, der muss sich nicht darüber wundern, dass die Kräfte im Arbeitskampf nicht ausreichen.

Nach dem Versuch von Premierminister Justin Trudeau, die Streikenden mit Staatsgewalt wieder an die Arbeit zu zwingen, folgte eine solidarische Antwort der Arbeiterklasse: Beschäftigte anderer Bereiche blockieren Postämter und Logistikzentren. Als die Welle der Repression begann, richteten die Arbeiter einen Fonds ein, um Gerichts- und Anwaltskosten zu decken. Viele spenden ihr Weihnachtsgeld. Bilder von Arbeiterfamilien, die mit dem Schild „Wir schenken Solidarität“ unter dem Weihnachtsbaum sitzen, fluten das Netz.

2021: Innergewerkschaftliche Kämpfe

011301 Kanada - Niemand bleibt allein - Canadian Union of Postal Workers, Kanada, Post - Hintergrund
Streikposten vor der Postfiliale (Foto: cupw.ca/en/campaign/resources/photo-gallery-strike)

Eine kämpferische Gewerkschaft wie die CUPW wird immer von zwei Seiten bekämpft: Von der Regierung und von kapitaltreuen Kreaturen, die die Betriebe „rein“ halten wollen von kämpferischen Kollegen. Ausgefochten wird das über innergewerkschaftliche Beschlüsse. Nach langen Ausei-nandersetzungen begann der nationale Gewerkschaftsvorstand gegenüber der „demokratischen“ Regierung des Liberalen Trudeau einzuknicken. Ein Tarifvertrag, der inmitten der Preisanstiege während der Corona-Pandemie 2 Prozent pro Jahr auf weitere zwei Jahre festgeschrieben werden sollte, wurde von lokalen Gewerkschaftern ernsthaft diskutiert und dann in einer „Nein-Kampagne“ abgelehnt.

Zur Begründung schreibt Roland Schmidt, CUPW-Vorsitzender aus Edmonton: „Unsere lokale Grundeinheit macht sich diese Empfehlung (der Ablehnung des Abschlusses, TL) nicht leicht. Unsere Mitglieder sind ernsthaft besorgt über die immer eigenmächtigere Ausrichtung der nationalen Gewerkschaftsführung (er meint die immer weiter von den kämpferischen Beschlüssen der Gewerkschaftstage abweichende, TL). Ernsthafte Fortschritte werden erreicht durch ständige und methodische, die Macht der Arbeiter steigernde und organisierende, das Niveau des Kampfes steigernde Kämpfe für Fortschritte. Nicht, indem man sich tiefer in den rein technischen Sumpf von Beschwerden, Schiedsverfahren und von uns nicht abgesegneten Verhandlungen begibt. Je länger unsere Gewerkschaft diesen falschen Weg geht, desto länger wird es dauern, ihn rückgängig zu machen. Ohne Kampf kann es keinen Sieg geben.“

2024: Solidarität mit den Schwächsten

Mitte November 2024 begannen die jüngsten Streiks. Der letzte Tarifvertrag war ausgelaufen, vor allem die Löhne sind die entscheidende Frage. Die Einstiegsgehälter sind in den letzten Jahren um unter 7 Prozent gestiegen, die Kaufkraft dagegen um 50 Prozent gesunken, rechneten die Arbeiter vor. Die kanadische Post gibt an, die neuen Kräfte lieber erst einmal ausprobieren zu wollen und erst später höhere Gehälter zu zahlen. Die Arbeiter antworten – auch gestärkt durch die innergewerkschaftliche Klärung in den Jahren zuvor – mit Solidarität. Keiner wird „unter den Bus geworfen“, wie das Sprichwort im Englischen heißt, keiner bleibt alleine. Gerade die Neuen, die häufig befristet sind und sich nicht trauen, sich der Gewerkschaft anzuschließen oder zu streiken, müssen durch Solidarität gewonnen werden. Die Streikform wird deshalb geändert. Zuvor waren es „rotierende Streiks“ mit langen Zeiträumen. Inzwischen sind es nationale Generalstreiks der Postarbeiter in allen Bereichen. Hier wieder der Vergleich zu Deutschland und dem Vorgehen der Gewerkschaft: ver.di wirft die Solidarität mit denen, die noch nicht der Gewerkschaft beigetreten sind, zugunsten von Mitgliederboni über Bord.

Solidarität und gemeinsamer Kampf sind für die kanadischen Postler das zentrale Argument für die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, die kein Saunaklub ist und wo es keine Mitgliederboni gibt. „Unser Kampf ist der Kampf aller Arbeiter, ob sie nun in der Gewerkschaft sind oder (noch) nicht“, erklärt der CUPW-Vorsitzende der Postgewerkschaft von St. Johns. Das ist der Anspruch klassenbewusster Gewerkschafter.

Gegen die Isolation der Postarbeiter richten die Streikenden Karaoke-Partys aus und senden Solidaritätsgrüße an die ebenfalls kämpfenden Postler der USA. Andere verkleiden sich als Grinch, hängen sich das Schild „CEO of Canada Post“ um und erklären in Einkaufszentren Eltern und Kindern den Widerspruch von Kapital und Arbeit. Zudem erklären sie ihnen, warum sie und auch ihre Eltern auf der richtigen Seite stehen, „if you’ve joined your Union“ (wenn sie der Gewerkschaft beigetreten sind). Öffentlich rechnen sie die Gehälter und Boni der Vorstände der Post gegen das auf, was ihnen fehlt.

Gegen Privatisierung und Prekarisierung

Der Kampf der Postarbeiter richtet sich gegen die Tendenzen der Privatisierung der kanadischen Post. Diese wird vor allem von der Regierung vorangetrieben. In öffentlichen Debatten wird ausgerechnet Amazon als Vorbild genannt, Gewerkschaftsfeind und Triebkraft der Prekarisierung. Unter Preisdruck geraten, hatte die kanadische Post bereits Teile verkauft, also privatisiert. Die Postarbeiter hatten auch dagegen protestiert. Mit den aktuellen Kämpfen wächst die Erkenntnis, dass man gegen diese Tendenzen auch streiken muss und kann.

Solidarität mit den kanadischen Postlern heißt zum einen, ihnen für die aktuellen Kämpfe alles Gute zu wünschen, sie öffentlich zu unterstützen, und zum anderen, von ihrem Kampf zu lernen – gerade für die anstehende Tarifrunde bei der Deutschen Post.

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"Niemand bleibt allein", UZ vom 10. Januar 2025



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