Die gesetzliche Rente hat ein Einnahmeproblem, das sich lösen ließe

Niedrige Löhne jetzt heißt Altersarmut später

Von Anne Rieger

73 Millionen Menschen sind rentenversichert. Die Absenkung der Rente geht also uns alle an. Wollen wir Altersarmut von Jüngeren, Jugendlichen und Älteren verhindern, müssen wir um höhere Einnahmen für die gesetzliche solidarische umlagefinanzierte Rente kämpfen. Denn sie hat kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmenproblem. Das ließe sich leicht lösen. Die Einnahmen können wesentlich erhöht werden, wenn

• die Einkommen der Beschäftigten erhöht

• die Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich reduziert und dadurch mehr kurze Vollzeitarbeitsplätze geschaffen würden

• prekäre Beschäftigungsverhältnisse in kurze Normalarbeitsplätze umgewandelt und

• die Arbeitgeber paritätisch in die Finanzierung der Rente einbezogen würden.

Eine Wertschöpfungsabgabe, die Einbeziehung aller Beschäftigten sowie staatliche Leistungen durch Steuern zu finanzieren, würde zur weiteren Entspannung der Einnahmen beitragen. Mit andern Worten, es geht darum, unseren Anteil am Produktivitätsfortschritt gemeinsam – jung bis alt – gegen Unternehmer und -innen, gegen die herrschende Klasse durchzusetzen. Oder marxistisch gesprochen, wären wir in der Lage, den Ausbeutungsgrad wieder zu verringern, hätten wir auch keine Altersarmut.

Den Kampf müssen alle Generationen gemeinsam führen, die Rentnerinnen und Rentner, die derzeit arbeitende Generation und die Jugendlichen. Letztere besonders, denn die derzeitige Politik raubt ihnen die finanzielle Zukunft. Jede Rentenpolitik heute trifft die Rentner, aber Kinder und Jugendliche sind noch viel härter betroffen. Denn jede Absenkung der Renten pflanzt sich unvermindert, ja ausweitend, über Generationen hinweg fort, wenn die Raubgesetze nicht rückgängig gemacht und durch menschenfreundlichere ersetzt werden. An der Absenkung der Renten würden Generationen von Aktionären der Konzerne und Versicherungsgesellschaften verdienen. Denn die Privatisierung der Rente, wie sie mit der Riesterrente begonnen wurde und jetzt mit der neuen sogenannten Betriebsrente fortgesetzt werden soll, ist organisiertes umfassendes Wildern in der gesetzlichen solidarischen Altersvorsorge. Schon jetzt sind mehr als 2,7 Millionen Menschen über 65 Jahre arm oder von Armut bedroht.

Die Stabilisierung des Rentenniveaus, wie es Frau Nahles in den Bundestagswahlkampf einbringt, sieht die „Deutsche Rentenversicherung“, also jene Institution, die die Rente verwaltet, skeptisch. Das würde „nicht die Absicherungsprobleme spezifischer Gruppen mit erhöhtem Altersarmutsrisiko“ lösen, heißt es in ihrer Stellungnahme. Knapp zwei Drittel der derzeitigen Grundsicherungsempfänger erhalten gar keine oder nur eine sehr geringe Rente. „Selbst eine ganz erhebliche Erhöhung des Rentenniveaus würde in diesen Fällen nicht dazu führen, dass die Betroffenen auf ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsanspruchs kämen.“

Ran an die Lohnentwicklung

Die Zahl der von Altersarmut Betroffenen steigt. Was ist zu tun? Die Privatisierung der Rente muss außer Kraft gesetzt werden. Die Grundlage der Rente, die Löhne, müssen erhöht werden. Je höher das Einkommen, desto höher der individuelle Rentenanspruch und desto höher der Rentenbeitrag von Unternehmern und Beschäftigten. Der DGB sagt in seiner Rentenkampagne: „Ran an die Lohnentwicklung“. Ein wesentlicher Teil, der zu unterstützen ist. Die Rentenfrage muss in jedem Tarifkampf eine Rolle spielen und wir müssen sie einbringen. Beim Streik der Geldboten, der Busfahrer, der amazon-Beschäftigten, in den Tarifauseinandersetzungen der Textil- und Bekleidungsindustrie oder im Öffentlichen Dienst der Länder, überall muss die Lohnforderung zusätzlich mit der Rentenfrage begründet werden.

Auch die notwendige Defensivmaßnahme „Mindestlohn“ schreit nach Erhöhung. 8,84 Euro reichen weder zum Leben noch zu einer den Lebensstandard sichernden Rente. Sogar Thüringens Arbeitsministerin Heike Werner fordert mindestens 11,68. Nur bei dieser Summe würde die Rente nach 45 Jahren Vollzeitarbeit über dem Niveau der Sozialhilfe liegen.

Der Betrag muss erhöht werden und alle Ausnahmen vom Mindestlohn abgeschafft werden, denn nur 45 Prozent der Beschäftigten arbeiten in einem Betrieb mit Tarifvertrag.

Prekäre Jobs bekämpfen

Mehr Menschen brauchen Beschäftigung. 3,5 Millionen Menschen sind ohne Erwerbsarbeit, rechnet man über 58-Jährige, Ein-Euro-Jobber oder in beruflicher Eingliederung Befindliche mit ein. Prekäre Beschäftigungsformen wie Leiharbeit, befristete Stellen, Werkverträge, Crowd- und Clickworking, unbezahlte oder niedrig bezahlte Praktika, Schein- und Soloselbstständigkeit und ungewollte Teilzeit müssen abgeschafft werden. Für alle werden keine oder zu geringe Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt, Beitragslücken entstehen. Für den Einzelnen führt das zur Armutsrente, für das System zu Einnahmeproblemen.

Um die Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu bekämpfen brauchen wir kurze, gut bezahlte Vollzeit für alle, also drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Nur mit Personalausgleich gibt es mehr Beschäftigung. Der Aufstand um die Mindestbesetzung an der Berliner Charité zeigt den Weg.

Teilzeit nur für diejenigen, die es wirklich wollen. Wahlmodelle, bei denen sich Beschäftigte zwischen Geld oder Arbeitszeitverkürzung entscheiden sollen, also die einen mehr Geld erhalten, die anderen kürzer arbeiten, sind abzulehnen. Soll jemand auf die Lohnerhöhung verzichten, um kürzer arbeiten zu können, fehlt ihm sein und des Unternehmers Rentenbeitrag, und zwar nicht nur in der jeweils aktuellen Tarifrunde, sondern in allen zukünftigen. Jeder braucht in jeder Tarifrunde einen höheren Lohn und keine Nulllohnrunde, auch wenn sich seine Arbeitszeit verkürzt.

Den Beschäftigten in Deutschland werden Millionen unbezahlter Überstunden abgepresst. Nach Berechnungen von Werner Rügemer streichen die privaten Kapitaleigentümer allein dadurch mindestens 80 Mrd. Euro im Jahr ein. Geld, das sowohl im individuellen Rentenbeitrag als auch im gemeinsamen System fehlt.

Höhere Löhne und mehr Arbeitsplätze würden einen Großteil des Einnahmeproblems der gesetzlichen Rentenversicherung verringern. Und sie können von den derzeit Beschäftigten – gemeinsam mit den Rentnern – mit ihrer Kampfkraft gelöst werden. Unsere Aufgabe ist es, diesen Zusammenhang in jeden Tarifkampf, in jede gesetzliche Sozialabbaumaßnahme einzubringen, um gegen die Zerstörung und die Delegitimierung der gesetzlichen Rente zu argumentieren.

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"Niedrige Löhne jetzt heißt Altersarmut später", UZ vom 3. Februar 2017



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