Zu Bodo Ramelows Regierungsfähigkeit auf Dauer

Niedertracht und Konsens

Am Dienstag dieser Woche war dieser auf den 18. Juli datierte Text im Online-Tagebuch des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow („Die Linke“) noch zu lesen: „Bereits in meinen vergangenen Tagebuch-Einträgen habe ich verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht, in welch großem Maß das Jahr 2021 angereichert ist mit historischen Jahres- und Gedenktagen. Mein Blick fällt dabei besonders auf den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion einer- sowie den 60. Jahrestag des Mauerbaus andererseits. Beide Daten – der 22. Juni 1941 sowie der 13. August 1961 – markieren auf natürlich sehr verschiedene, aber dennoch einschneidende Weise für viele Millionen Menschen in Deutschland, Europa und der Welt katastrophale Wendepunkte ihres Lebens.“

Die Geisteshaltung, mit der Vernichtungskrieg und Grenzsicherung in einem Atemzug genannt werden, ist infam, von Menschlichkeit, die vorgeblich den Schreiber zum Schreiben bewegt, keine Spur. Im Gegenteil: Wer so leichthin Folter, Mord, Vergewaltigung, Verhungernlassen und lebendig Verbrennen mit am Ende 27 Millionen Toten in einem Atemzug mit einer Grenzschließung nennt, der verbreitet den Revanchistengestank der Adenauer-Ära, als Heranwachsende in der Bundesrepublik mit solchem Dreck traktiert wurden. Dass zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 13. August 1961 ein kausaler Zusammenhang besteht, fällt so einem nicht ein.

Ein deutscher Ministerpräsident, kein BRD-Politiker, der ein Spitzenamt anstrebte, muss das hinter dem AfD-kompatiblen Verharmlosungsgeschwätz von den „zwei Diktaturen“ verschwinden lassen. Da werden die ungezählten Vernichtungsaktionen in der Sowjetunion nicht nur rhetorisch zum „Vogelschiss“. Der offizielle Umgang der deutschen Staatsführung mit dem 80. Jahrestag des faschistischen Überfalls bei gleichzeitigem Schüren antirussischer Hysterie belegt das auf seine Weise. Eine enorme, beachtenswerte Ausnahme waren die Reden und Auftritte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Ramelow interessieren Sätze wie diese offenkundig nicht: „Die diesen Krieg führten, töteten auf jede erdenkliche Weise, mit einer nie dagewesenen Brutalität und Grausamkeit. Die ihn zu verantworten hatten, die sich in ihrem nationalistischen Wahn gar noch auf deutsche Kultur und Zivilisation beriefen, auf Goethe und Schiller, Bach und Beethoven, sie schändeten alle Zivilisation, alle Grundsätze der Humanität und des Rechts. Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei.“

Hätte der dem Parteibuch nach Linke Steinmeier wahrgenommen, er hätte nicht beide Daten in einem Atemzug nennen können. Es sei denn, er hält auch die DDR-Grenzziehung für „mörderische Barbarei“. Auszuschließen ist das nicht. Wer vom „Unrechtsstaat“ DDR im Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen schreibt, dem ist auch sonst nicht zu trauen.

Ramelow vertritt jedenfalls vehement den nationalen Gründungskonsens der Bundesrepublik: Schlimmer als Ausrottung durch Wehrmacht und SS waren und sind Kommunisten. In dieser These lebt das „Ich kenne keine Parteien mehr“ von 1914 fort, wobei das „nur noch Deutsche“ von Ramelow zeitgemäß durch „nur noch Menschen“ ersetzt wurde. Die Schießbefehlswirkung bleibt die gleiche. Bevor daher der Faschist Björn Höcke am vergangenen Freitag mit seinem Misstrauensantrag gegen Ramelow scheiterte, plauderte Ramelow am Dienstag zuvor wohlgemut in der „Berliner Zeitung“, er werde nicht mehr nur mit Linkspartei, SPD und Grünen jonglieren: „Und wenn ich es mit dreien schaffe, warum soll ich mit fünfen nicht klarkommen?“

Gemessen an Geschichtsbild und menschlicher Niedertracht steht dem nichts entgegen.

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"Niedertracht und Konsens", UZ vom 30. Juli 2021



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