Defender 2020 geht weiter – auch in Deutschland

„Nichts zu feiern“

Das US-Manöver „Defender 2020“ wird nach der Aussetzung während des Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie unter Beteiligung verschiedener NATO-Staaten in reduzierter Form weitergeführt: In Polen trainieren 6.000 polnische und US-amerikanische Soldatinnen und Soldaten auf dem Übungsplatz Drawsko Pomorskie, in Deutschland ist unter anderem eine Übung von 600 GIs auf dem Truppenübungsplatz Bergen in Niedersachsen geplant. UZ sprach mit Charly Braun, DGB-Kreivorsitzender im Heidekreis und Mitglied im ver.di-Bezirksvorstand Hannover-Heide-Weser.

UZ: Wie bewerten Sie die Militärmanöver vor dem Hintergrund, dass die Pandemie alles andere als überstanden ist?

270502 portrait - „Nichts zu feiern“ - Abrüstung, Frieden, NATO-Manöver - Politik
Charly Braun

Charly Braun: Die „Defender“-Manöver von USA und weiteren NATO-Staaten sind auf Jahre im voraus geplant. Sie richten sich gegen Russland und sollen hierzulande alle und alles ideologisch wie praktisch einbinden. Mit der Bahn vertraglich geregelte Vorfahrt für Militärtransporte ist ein Beispiel dafür, dass alles den militärischen Zielen untergeordnet wird. Dass das Großmanöver im Kleinformat als „Defender Europe2020 plus“ weiterläuft, zeigt, wie wichtig es den USA ist, sich gegen Russland heiß zu laufen. USA und NATO wollen auf jeden Fall die Mächtigsten auf dem Erdball sein und bleiben – wirtschaftlich und militärisch.

Das Manöver ist ihnen wichtiger als eine mögliche Corona-Ansteckungsgefahr für GIs. Corona hat offenbart, wie desolat in den USA und nahezu überall auf der Welt das Gesundheitswesen ist. Das Geld für Manöver wird dringend fürs Gesundheitswesen und zur Abmilderung der Folgen der Wirtschaftskrise gebraucht.

UZ: Die Friedensbewegung ruft für das kommende Wochenende bundesweit zu dezentralen Protesten auf. Was genau ist geplant?

Charly Braun: Es wird an vielen Orten, wo die US-Army übt oder stationiert ist, Demostrationen und Aktionen geben.

Wir, die „Friedensaktion Lüneburger Heide“, laden zu einem „Sonntags-Spaziergang für Frieden und Konversion“ an Europas größtem Truppenübungsplatz ein. Am 5. Juli starten wir um 11 Uhr mit einer – auch musikalischen – Kundgebung vorm Rathaus in Bad Fallingbostel. Wir gehen zwei Kilometer zur Kaserne Oerbke-Ost, um uns US-Kriegsgerät durch den Zaun anzuschauen, und weitere zwei Kilometer zum sowjetischen Kriegsgefangenenfriedhof Oerbke.

UZ: Sie organisieren den Protest in Bad Fallingbostel am Truppenübungsplatz Bergen. Welche Bedeutung hat dieser Ort?

Charly Braun: Der „Platz“ zwischen Bergen und Fallingbostel wurde von den Nazis zum Training für den Überfall auf die Sowjetunion eingerichtet. Hier ließ die Wehrmacht gefangene Rotarmisten ohne ein Dach überm Kopf in drei Lagern zu Zigtausenden elendig verrecken. Später startete von hier aus vor allem die British Army nicht nur in Kriege um Öl. Die immer gleiche Rampe, die gleichen Kasernen, Schießbahnen sollen für ein neues Kriegstraining gegen Russland benutzt werden. Hier ist vieles möglich, selbst Nachtschießen in Wohnortnähe und Häuserkampf.

UZ: Sie demonstrieren auch für Konversion?

Charly Braun: Mit dem Abzug der British Army 2015 haben viele Zivilbeschäftigte ihre Jobs verloren. Bergen und Bad Fallingbostel verloren ein Drittel ihrer Einwohnenden und entsprechend an Wirtschaftskraft. Auf unsere lokale gewerkschaftliche Initiative hin beschlossen ver.di-Bundeskongress und DGB-Konferenz Forderungen an die Bundesregierung für die Finanzierung einer neuen Wirtschaftsstruktur und die soll „sozial, ökologisch und nicht-militärisch“ sein. Mit unserer Bürgerinitiative engagieren wir uns hier für ein UNESCO-Biosphärengebiet. Andere Beispiele zeigen, dass das viele neue Arbeitsplätze in Landwirtschaft, Tourismus und Handwerk schafft. Ein altes Gewerkschaftsmotto lautet: „Abrüstung JA – arbeitslos NEIN“.

UZ: Die Lüneburger Heide ist …

Charly Braun: … die am stärksten militarisierte Region Deutschlands. Hier dreht sich schon immer alles um Panzer. Bei Rheinmetall in Unterlüß werden die Mordfahrzeuge gebaut, die Panzertruppenschule in Munster ist die Fahrschule, der Truppenübungsplatz zwischen Bergen und Bad Fallingbostel ist der Kriegstrainingsplatz und nach erfolgtem Einsatz sind ausgediente Exemplare im Panzermuseum Munster zu bewundern.

UZ: Welche Rolle spielt der US-amerikanische Unabhängigkeitstag, der am Sonnabend in den USA gefeiert wird, bei Ihren Protesten?

Charly Braun: Angesichts von Rassismus, Polizeigewalt, Massenarmut und kriegerischer Aufrüstung zeigen wir den USA‚ es gibt nichts zu feiern. Darum wird es an diesem Wochenende auch hier vielerlei Proteste geben.

UZ: US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, mehrere tausend in der Bundesrepublik stationierte Soldaten abziehen zu wollen. Damit dürfte er doch bei Ihnen auf Zustimmung stoßen?

Charly Braun: Abzug wohin? Solange sie nicht zurück in die USA abziehen, bleiben sie eine Kriegsgefahr – eine Gefahr auch für alle Menschen in Deutschland.

UZ: Also fordern Sie die Schließung aller US-amerikanischen Truppenstützpunkte in der Bundesrepublik?

Charly Braun: Ja, klar „Ami go home“, aber auch Schluss mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

UZ: Die NATO pocht darauf, dass ihre Mitgliedsländer mindestens 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Rüstung investieren. Ist eine solche Forderung vor dem Hintergrund der horrenden Kosten für die Pandemiebewältigung nicht besonders absurd?

Charly Braun: Nicht nur Aufrüstung, sondern jede Militärausgabe fehlt für Gesundheit, Soziales, Klimapolitik, Bildung, Infrastruktur. Corona hat allen offenbart, wie desolat das Gesundheitswesen ist. Gerade jetzt müssen wir Gewerkschaften und alle Betroffenen fordern, das Geld ins Gesundheitswesen zu stecken, vor allem für Wiedereinführung kostendeckender Finanzierung der Klinikleistungen und gesetzliche Mindestpersonalbemessung in Pflege und anderen Berufen. Wir brauchen keine Tötungsgeräte, sondern Menschen, die für Gesundheit sorgen.

Das Gespräch führte Markus Bernhardt

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"„Nichts zu feiern“", UZ vom 3. Juli 2020



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