Neuer Besucherrekord: Über 280 000 Besucher gingen an den vier Tagen durch die Messehallen, das Interesse an den fast 3 000 Veranstaltungen auf der Messe und in der Stadt war groß, der reine Augenschein ließ sehen, wie viele gerade junge Menschen das (viel zu große) Angebot wahrnehmen. All das hielt die Bedenkenträger nicht von ihrer vorgefassten Meinung ab, sie stimmten wieder das gleiche Lamento an, die Leute, wer auch immer das ist, lesen immer weniger, der Absatz von gedruckter Literatur geht zurück, der kulturelle Niedergang ist unvermeidlich. Die Leipziger Buchmesse, die am Sonntag zu Ende ging, hatte Beiträge solcher Art in den bürgerlichen Feuilletons und den „Kultursendungen“ der TV-Anstalten zuhauf. Mit dem Begriff „Lesen“ wird völlig unreflektiert umgegangen, anscheinend zählt nur als Leserin und Leser, wer ein Buch der „schönen Literatur“ liest, und dies auch nur dann, wenn es in gedruckter Form genutzt wird. Die wissenschaftlichen und Fachbuchverlage klagen darüber nicht, deren Publikationen erfreuen sich, trotz gestiegener Preise, weiterhin eines ungebrochenen Zuspruchs. Steigende Studierendenzahlen, die weltweite Vernetzung der „Science-Community“ mit ihren Ansprüchen an neuen oder aktualisierten Texten, der Bedarf an Weiterbildungsliteratur über alle Branchen hinweg führt zu einem immer größeren Ausstoß an Printprodukten und natürlich an Online-Zugriffen. Die Behauptung, es würde immer weniger „gelesen“, ist überhaupt nicht zutreffend, sondern dem so sehr geliebten „Kulturpessimismus“ geschuldet.
An zwei Veranstaltungen soll hier erinnert werden: Lucas Zeise, als regelmäßiger Kolumnist der UZ den Lesern bekannt, stellte sein neues Buch im Papyrossa Verlag vor, eine Besprechung des Titels „Das Finanzkapital“ steht unten auf dieser Seite. Der Historiker Volker Külow, der im letzten Jahr gemeinsam mit Wladislaw Hedeler Lenins Buch über den Imperialismus neu herausgegeben hatte, stellte am Messestand der „jungen Welt“ eine weitere Neuausgabe vor, Lenins Arbeit über „Staat und Revolution“. Beide Veranstaltungen waren gut besucht, trotz vieler anderer, gleichzeitig stattfindender Verlagspräsentationen und Lesungen.
Die Branche selbst hatte nur ein wirkliches Thema, das überall diskutiert wurde: Die Insolvenz des größten Zwischenbuchhändlers KNV (siehe UZ Nr. 9 vom 1. März) verunsichert viele Verlage, gerade die mittleren und kleinen, die auf den Absatz über diese Firma angewiesen sind und Alternativen händeringend suchen. Sie wurden von der Insolvenz des Marktführers in diesem Segment besonders kalt erwischt. Ein Großteil der ihnen zustehenden Erlöse aus dem wichtigen Weihnachtsgeschäft, die üblicherweise in den folgenden Monaten auf den Konten landen, ist für sie dahin. Alle hoffen, dass KNV weitermacht, angeblich könne die Suche nach einem Investor positiv enden, obwohl im Dezember letzten Jahres ein solcher Deal geplatzt war. Vor allem die kleineren Verlage setzen bis zu 80 Prozent ihrer Bücher über die Zwischenbuchhändler ab, von denen es nur einen weiteren gibt, der bundesweit liefert, und einen „kleineren“, der bestimmte Regionen auslässt. Der Geschäftsführer des Börsenvereins, Alexander Skipis, sagte – ganz der Lobbyist –, er sei optimistisch, dass „das Problem KNV gelöst“ werde. Darüber, dass bei KNV in Erfurt unter Bedingungen gearbeitet wird, die denen bei Amazon ähneln, hörte man leider viel zu wenig auf der Messe. Amazon liefert das andere Stichwort der Diskussionen: Alle beklagen sich über die Marktmacht, die der Riese in der Buchwirtschaft errungen hat, dabei hat die Branche selbst dafür gesorgt. Nach einigen kläglichen Boykottaufrufen vor Jahren beliefern alle bekannten Verlage, besonders die mit den Bestsellern, den Großhändler mit Handelsspannen, die sie der „normalen“ Buchhandlung nicht einräumen. Eine geschickte Strategie von Amazon ist, dass das große Zentrallager für Bücher in Bad Hersfeld nur wenige Schritte entfernt ist vom Hauptlager des zweiten Zwischenbuchhändlers der Branche, der Firma Libri. So kann Amazon eine schnelle Lieferfähigkeit nicht nur behaupten, sondern auch erfüllen, da man sich beim Nachbarn eindecken kann, wenn die Nachfrage plötzlich ansteigt.
Die Leipziger Buchmesse vergibt, wie es sich anscheinend gehört, auch Geldpreise an Autorinnen und Autoren, diesmal bekam Anke Stelling für „Schäfchen im Trockenen“ den Leipziger Buchpreis mit 15000 Euro und medialer Aufmerksamkeit, einem Text über die Angst der sogenannten „Mittelschicht“, die aufsteigen möchte oder zumindest ihren Platz behaupten will und „nach unten“ abrutschen kann. Der „Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung“ 2019 ging an die russisch-US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin Masha Gessen für ihr Buch „Die Zukunft ist Geschichte“, ein Machwerk der besonderen Art über die Verhältnisse in „Putins Reich“, an denen die Menschen zu „zerbrechen drohen“. Auch dafür gab es ein hübsches Preisgeld in Höhe von 20000 Euro. Ansonsten nichts Neues aus Leipzig.